Um den Feind zu irritieren
Freitag, 10. November 2023, bei „Etz Chaim/Tree of Life“ von Alex Jacobowitz
Man müsse es immer wieder versuchen, schrieb mir ANH, schon um den Feind zu irritieren. Er ist ein Kämpfer, viel mehr als ich. „Shit happens,“ schrieb er, nachdem er gerade auf dem OP-Tisch wieder wachgeworden war. „Aber man guckt dem Gegner oder auch, wenn’s schlimm kommt, Feind in die Augen und kontert.“ Und man dürfe auch, ich sage mal die „Selbstpflege“ nicht vergessen. „Glaub mir, sowas irritiert die Gegner, wenn man sich für so etwas Zeit nimmt mitten im Kampf.“
Ich gestehe, dass mir dazu in den letzten Wochen, ach was, Monaten, einfach die Kraft gefehlt hat. Und dabei war der Gaza-Krieg, der mich nachhaltiger noch als der Beginn des Überfalls auf die Ukraine im Februar 2022 erschütterte und lähmte, im Grunde nur der letzte Hammer auf den Kopf, denn vorher kam im Juli der zweite Einfall von Cancro Regina, der Krebskönigin, die meine Tore so weit aufsprengte, dass ich immer noch nicht weiß, wann und ob überhaupt die Rede davon sein kann, dass ich wieder Herr im eignen Hause sein werde.
So liegt seit Monaten alles brach, die Arbeit am Roman „Geister“ findet zwar im Kopf und im Traum immer noch einen erstaunlichen Fortgang, aber geschrieben worden ist nichts, nicht einmal hier im BLOG und im Tagebuch klaffen Lücken von Monaten; im Grunde komme ich mir vor wie der Garten vor dem Fenster meines Arbeitszimmers, der mit jedem Windstoß kahler wird und einen Anblick herbstlicher Trauer bietet.
Und heute, mit diesem BLOG-Beitrag, soll das ein neuer Anfang sein? Ja, das soll es, und nicht einmal, um den Feind zu irritieren, denn ob das gelingen kann, das bezweifele ich. Ich tue es ganz schlicht, um nicht vor der Zeit zu unterliegen. Mein Bruder schreibt aus Rom, dass er sich dort eine kleine Wohnung sucht und noch eine Restlaufzeit von fünf Jahren vor sich zu haben glaubt. Wie zum Trotz schickt er dazu ein Foto von reifen Granatäpfeln, die mein Garten nicht zu bieten hat.
Und ich tue es, weil ich versprochen habe, die Gedichte von Mati Shemoelof zu rezensieren, die so schrecklich in unsere Zeit passen.
MATI SHEMOELOF, geb. 1972 in Haifa, ist ein arabisch-jüdischer Autor, der seit zehn Jahren in Berlin lebt. In Israel hat er insgesamt 10 Bücher veröffentlicht: sieben Gedichtbände, eine Sammlung mit Kurzgeschichten, einen Essayband und einen Roman. Seine erste Veröffentlichung in Deutschland war der Gedichtband „Bagdad | Haifa | Berlin“ (AphorismA Verlag, 2019). Außerdem ein Hörspiel, „Das künftige Ufer“ (WDR, 2018). In Berlin hat er zwei literarische Gruppen mitbegründet: Poetic Hafla – eine multi-linguale künstlerische Party sowie Anu: Juden und Araber schreiben in Berlin. Einige seiner Texte waren schon in der Anthologie „Was es bedeuten soll. Neue hebräische Dichtung in Deutschland“ enthalten.
Die Rezension ist eine Arbeit, die mich zugleich daran erinnert, dass ich vor dem Beginn des Gaza-Krieges meine Studien des biblischen Hebräisch wieder aufgenommen hatte, um der Arbeit über die Spätantike und das frühe Christentum eine bessere Grundlage zu geben. Also soll, ja muss es auch dort weitergehen, Krebskönigin hin oder her.
Gut, so sehen die Absichten aus, außerdem türmen sich noch die Papierberge des Céline-Nachlasses, in dem sich vollständige Manuskripte, Übersetzungen und kuriose Briefsammlungen verbergen, auf dem zweiten Schreibtisch, aber jetzt geht es erstmal zu Kaffee und Nusstorte.
Bleiben Sie glücklich
wünscht Ihnen PHG