Die Dichtung und Das Internet – Ein Streitgespräch
10 Antworten zu Alban Nikolai Herbst
Näher, mein Wort, zu Dir!
Die Dichtung und Das Internet
Anfang April stieß ich in der DSCHUNGEL.ANDERSWELT des Berliner Autors Alban Nikolai Herbst, eine der wenigen Internetplattformen, die ich halbwegs regelmäßig besuche und lese, auf die Frage nach der Funktion und dem Stellenwert des Internets für die literarische Produktion von AutorenInnen. Es ergab sich zwischen uns über fünf Tage hinweg das folgende Gespräch, das ich mit Genehmigung von Alban Nikolai Herbst jetzt hier in meinem LOGBUCH nochmals veröffentliche.
- PHG sagt: 8. April 2020 um 12:30 Es ist völlig verfehlt, das Problem aus der Sicht der Literatur zu betrachten. Egal, ob man, wie Lewitscharoff etc., im Internet eine Form des Bösen sieht, oder ob man es als multitaskingfähiger demnächst 70jähriger zum Hoffnungsträger stilisiert. Darum geht es weder noch.
Was den Ausschlag gibt und darum die Zukunft bestimmt, das ist einzig und allein das Verhalten des Nutzers. Was für einen Gebrauch macht der User von einem Medium. Und da sieht es für die Literatur mehr als schlecht aus. Mein Sohn besitzt eine große Internet-Agenturen, mit Firmensitzen in mehreren Ländern und vielen tausenden realisierten Webpräsenzen weltweit, vor allem auch für große Kulturinstitutionen, und sein Urteil ist eindeutig: Die Zeit für Auftritte im Internet, gleich welcher Art, ist längst vorbei, geschweige denn für textlastige Internetseiten. Deren Nutzung ist so gering, die Zugriffs- und Verweilzeiten sind so kurz, dass man sagen kann, die Seiten sind tot. Die Betreiber merken das freilich lange nicht, wollen es mangels Alternative auch nicht merken. Was glauben Sie, warum Amazon beim Verkauf von eBooks dazu übergegangen ist, dem Verfasser der Bücher nicht den kompletten Download zu bezahlen sondern buchstabengenau die tatsächliche Lektüre abzurechnen? Die wissen nämlich genau, dass die meisten eBooks nach dem Download ungenutzt auf den Computern und Lesegeräten liegen. Digitale Texte sind meist tote Texte. Wer das nicht erkennt und immer noch die Welle vom Hoffnungsträger Internet reitet, der ist vermutlich in den utopischen Anfangsjahren des Internets stehengeblieben. Das Internet als Medium für Texte ist längst out. Schauen Sie sich Instagram an. Sorry, gefällt mir auch nicht, ist aber so. Ich bin kein Freund von Lewitscharoff, aber sie hat leider Recht. Wird geladen… Antworten- Alban Nikolai Herbst sagt: 8. April 2020 um 16:58 Das (wirtschafliche) Argument einer geringen Nutzung der Internet- und eBook-Nutzung belletristischer Werke halte ich nicht für ein Argument, das gegen sie und vor allem dagegen spricht, poetische Formen des Erzählens zu entwickeln, die ihm angemessen sind und eben nur in ihm stattfinden können. Zum einen hat es sehr lange gebraucht, bis ins 19. Jahrhundert hinein, bis Gutenbergs Technologie sich für Belletristik hat marktwirtschaftlich relevant durchsetzen können, und als es so weit war, dauerte auch diese Zeit nicht sehr lange – nämlich bis die erzählenden Bilder des Spielfilms kamen, die ökonomisch sehr schnell alles in den Schatten stellten, was der Buchmarkt jemals gekannt hat, abgesehen von jenen Büchern, die sich aus Marketing- und Mainstreamgründen verkauften. Dies hat aber nichts mit dem Charakter des Mediums selbst zu tun. Zumal es den meisten hochliterarischen Büchern in der Buchform nicht besser als den entsprechenden Netzpublikationen ergeht. Lyrik etwa kommt, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum je über 1000 verkaufte Exemplare; zum Vergleich: Die Dschungel hat derzeit Zugriffszahlen von 400 pro Tag; einige Beiträge, darunter viele zur Lyrik, haben über dreivier Jahre Zugriffe von 20.000 bis 25.000 erreicht; mit keinem meiner Lyrikbände wäre das jemals möglich gewesen noch weiterhin möglich.
Sie übersehen vor allem, lieber Gogolin, daß sowohl Internet als auch gar die eBooks eine noch ganz frische Erfindung sind, die sich ins kulturelle Bewußtsein noch in keiner Weise hat einsenken können. Interessanterweise habe ich allerdings von vielen sehr viel älteren Menschen, als ich selbst es bin, geradezu dankbare Kommentare zu diesen Technologien gehört, insbesondere von solchen, denen es Schwierigkeiten bereitet, kleinere Schriften zu lesen. Ich habe solche unterdessen ja auch, in >>>> Nabokovlesen 27 habe ich es beschrieben (meine Augen müssen nachgelasert werden, der Termin ist erst im Mai). Und ich lese unterdessen fast lieber im Internet, aus selbem Grund: Denn auch da kann ich die Schriftgröße selber bestimmen, ja selbst die Schrifttype – was ich besonders gern tue, weil mir serifenlose Typen unangenehm sind.
Aber dies sind nur praktische, nicht ästhetische, bzw. künstlerische Argumente. Denn vor allem bleibt von Ihrer Replik mein Hauptbefund unberührt, demzufolge Netz- und auch eBook-Publikationen insofern näher beim Wort-selbst sind, als die Materialität des Mediums scharf in den Hintergrund und dafür das Wort sehr viel näher ans Gehirn gerückt wird, übrigens auch aus physiologischen Gründen. Was hierbei schwächer wird, ist der Fetischcharakter. „Das Buch“ ist ein Fetisch. Dies ist nicht unbedingt schlimm, aber es ist über Prägung entstanden, nämlich meiner eigenen und vorheriger Generationen. Diese Prägung ist bei den nachfolgenden schon sehr viel geringer ausgeprägt und wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach völlig auflösen. Dann ist es für die poetische Literatur unbedingt nötig, sich angepaßt und das in die neuen Zeiten nicht nur hinübergerettet, sondern Formen entwickelt zu haben, die ihnen entsprechen. Ansätze dazu gab es in der Buchform sogar schon, >>>> Cotázars „Rayuela“ ist ein Beispiel dafür, übrigens auf andere Art auch „Zettels Traum“ oder >>>> „Dessen Sprache du nicht verstehst“, worin auf experimentelle Weise etwas versucht wird, was das Buch eigentlich nicht tragen kann, das Internet aber sehr wohl. Hier haben belletristische Bücher schon etwas vorausgenommen, das sich heute erst realisieren läßt. Und alles das ist erst der Anfang. Wird geladen… Antworten- PHG sagt: 8. April 2020 um 18:16 Hier verbirgt sich ein Thema, das ausführlich diskutiert werden müsste – und zwar eben nicht nur hinsichtlich des Trägermediums, denn bisher hat sich das Buch immer noch als hinreichend mächtig erwiesen, um alle poetischen Formen abzubilden; Rayuela und Zettels Traum sind ja gerade Beispiele für die Leistungsfähigkeit des Mediums Buch. (Fritz werde ich mir in den nächsten Tagen nochmal ansehen, darüber würde ich mich gern gesondert unterhalten.) Es würde mir nicht einfallen, neu oder auch nur anders erzählen zu wollen, weil es gerade zufällig das Internet gibt. Erforderlich wäre – meiner bescheidenen Ansicht nach – eine neue Form des Erzählens selbst. Und zwar unabhängig vom diese Erzählung abbildenden/tragenden Medium. Lassen Sie uns also das Erzählen selbst revolutionieren. Das hätte auch dann noch Sinn, wenn morgen jemand den Stecker rauszieht und das Internet verschwindet. In Robert Harris‘ neuem Roman „Der zweite Schlaf“ ist das übrigens bereits passiert. Die gegenwärtige Zivilisation ist etwa 2024 untergegangen, 800 Jahre danach spielt Harris Roman. Dort ist als eines der Ereignisse noch etwas bekannt, was sie die große Cloud-Katastrophe nennen. Sie wissen nicht, was das bedeuten könnte, nur, dass das gesamte Wissen damals verlorengegangen ist. Ein paar Bücher gibt es allerdings noch. Die hält die Kirche unter Verschluss. Wird geladen… Antworten
- Alban Nikolai Herbst sagt: 8. April 2020 um 16:58 Das (wirtschafliche) Argument einer geringen Nutzung der Internet- und eBook-Nutzung belletristischer Werke halte ich nicht für ein Argument, das gegen sie und vor allem dagegen spricht, poetische Formen des Erzählens zu entwickeln, die ihm angemessen sind und eben nur in ihm stattfinden können. Zum einen hat es sehr lange gebraucht, bis ins 19. Jahrhundert hinein, bis Gutenbergs Technologie sich für Belletristik hat marktwirtschaftlich relevant durchsetzen können, und als es so weit war, dauerte auch diese Zeit nicht sehr lange – nämlich bis die erzählenden Bilder des Spielfilms kamen, die ökonomisch sehr schnell alles in den Schatten stellten, was der Buchmarkt jemals gekannt hat, abgesehen von jenen Büchern, die sich aus Marketing- und Mainstreamgründen verkauften. Dies hat aber nichts mit dem Charakter des Mediums selbst zu tun. Zumal es den meisten hochliterarischen Büchern in der Buchform nicht besser als den entsprechenden Netzpublikationen ergeht. Lyrik etwa kommt, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum je über 1000 verkaufte Exemplare; zum Vergleich: Die Dschungel hat derzeit Zugriffszahlen von 400 pro Tag; einige Beiträge, darunter viele zur Lyrik, haben über dreivier Jahre Zugriffe von 20.000 bis 25.000 erreicht; mit keinem meiner Lyrikbände wäre das jemals möglich gewesen noch weiterhin möglich.
- Alban Nikolai Herbst sagt: 9. April 2020 um 8:28 Die hält die Kirche unter Verschluss. Genau hier wird offenbar erneut auf den Fetischcharakter verwiesen: Das Buch als Träger eines nichtöffentlichen, nur Ausgewählten zugänglichen Geheimnisses; zudem als Buch als Tabernakel. Es ist eine – Beschwörung.
sind ja gerade Beispiele für die Leistungsfähigkeit des Mediums Buch Genau das sehe ich anders. Die beiden Bücher versuchen unter gestalterischen geradezu Verbiegungen, etwas zu erreichen, das sich im Internet komplett einfach herstellen läßt. Es gilt aber, daß Technik, etwa Fingersätze in der Musik, nur die Vorstufe für das Eigentliche sind. Rostropowitsch: „Ach wissen Sie, junge Mann, irgendwann hört Technik auf, ein Problem zu sein“ – womit er meinte: Dann erst beginnt die Kunst. weil es gerade zufällig das Internet gibt Das ist gleich die nächste Annahme, daß es das Internet „zufällig“ gebe. Auch der Buchdruck entstand nicht „zufällig“, sondern weil die Entwicklung einer Technik (und die des Geistes) jetzt so weit war, ihn zu entwickeln. das Erzählen selbst revolutionieren Eben dies geschieht n i c h t unter Absehung von Technk, die nämlich immer auch Kulturtechnik ist. wenn morgen jemand den Stecker rauszieht und das Internet verschwindet Man kann auch den Stecker für Buchdruckproduktionen herausziehen. Ihr Argument ist wie bei den alten Steintafeln: Wenn es keine Steine mehr gibt, gibt es auch keine Schrift mehr. Sie übersehen komplett, daß auch der heutige Buchdruck nahezu vollständig elektronisch organisiert ist. Per Hand gesetzten Bleidruck gibt es quasi nicht mehr, weil er auch in keiner Weise mehr konkurrenzfähig wäre, sondern im Nu Konkurs anmelden müßte. Wird geladen… Antworten- PHG sagt: 9. April 2020 um 12:53 Alles natürlich bekannt, entkräftet die genannten Punkte aber nicht. Und ich finde – mit Verlaub gesagt – Ihren Abgesang auf das Buch doch etwas seltsam. Alles aus Ihrer Feder (ich weiß, schon wieder so eine veraltete Metapher – aber sollte ich ASCII-Tabelle sagen?) -, das einen hinreichenden Kunstanspruch geltend machen kann, findet sich bisher zwischen zwei Buchdeckeln. Selbst z.B. „Die Fenster von Sainte Chapelle“, im Internet verfasst, bekamen ihre gültige Form als Buch und werden, so sie gelesen werden, als Buch gelesen und gewiss nicht auf Ihren Internetseiten. Sie werden die Zugriffszahlen haben. Davon ab ist gerade dieser Text ein Beispiel für eine einigermaßen gewöhnliche Ich-Erzählung, für die es als Schreib- und Publikationsort gewiss nicht das Internet gebraucht hätte. Kurz, der/die Dschungel hier ist der einzige Teil Ihres Schreibens, der konsequent im Internet stattfindet. Das ist schön, das ist vielleicht sogar ein Alleinstellungsmerkmal im deutschsprachigen kleinbuschigen Literaturland, doch verglichen mit Ihren so altertümlich im Buchdruck erschienenen Werken ist die Dschungel literarisch doch eher marginal, trotz seines Umfangs. Verzeihen Sie mir, dass ich so hochgradig voreingenommen für DAS BUCH plädiere. Ich entstamme geistig einem Volk des Buches. Wenn ich in meinen Bibliotheken stehe, ja, ich habe mehr als eine, die verlorene nicht mitgezählt, stehe ich am Ufer des Meeres. Im Internet stehe ich nirgendwo. Sie sahen beim Aufkommen des Internets literarische Entwicklungsmöglichkeiten. Das bleibt von mir aus unbenommen, auch wenn es sich seither während der Lebenszeit des Internets nicht realisiert hat. Aber Bücher kann man lieben, und es gibt welche der Ihren, für die ich solche Gefühle hege, für das Internet habe ich bisher bestenfalls Ärger empfunden, wenn das WLAN mal wieder nicht funktioniert. PS: Damals, in den 80gern, als die Autoren begannen, auf den ersten unvollkommenen Computern zu schreiben – ich war sofort dabei und schrieb mit Hilfe eines Z80-Prozessors – haben Sie das Internet entdeckt. Etwa zeitgleich kehrten eine Reihe von Kollegen zur Handschrift zurück. Zu diesen Handschriftlern gehörte damals auch Handke, von dem Sie mir letzthin schrieben, er bzw. sein Werk sei eines der wenigen aus der Gegenwartsliteratur, das bleiben werde. Das glaube ich auch. PPS: Die Obstdiebin nicht. Wird geladen… Antworten
- Alban Nikolai Herbst sagt: 10. April 2020 um 8:13 Lieber Gogolin,
es ist einigermaßen klar, daß ich auch hier widerspreche – auch weil „Die Fenster von Sainte Chapelle“ nun gerade kein gutes Beispiel ist. Allein über die, >>>> fürs Netz gesprochen, Zugriffs- und, >>>> fürs Buch gesprochen, Käufer/Käuferinnenzahlen liegen Sie – ich weiß nicht mal, ob ich „leider“ schreiben soll, grundfalsch. Hätte mein Verlag die Käuferzahlen, die die Netzpublikation hatte (die aber nach wie vor aufgerufen wird), hätte er mit den Erzählungen einen deutlichen Bestseller „gelandet“ – was leider nicht der Fall ist, so wunderbar es nicht nur für ihn, sondern auch für mich selbst gewesen wäre und wäre. Von der von den damaligen Kulturmaschinen herausgegebenen >>>> ersten Ausgabe spreche ich besser erst gar nicht, die schließlich auch noch in deren Insolvenzmasse landete.
Zugleich stehen die Fenster deshalb auch weiterhin im Netz, weil es sich, verglichen mit der Buchnovelle, um zwei nicht verschiedene Bücher, aber zwei solche handelt, deren Geschehen quasi unter sehr differierenden Blickwinkeln gesehen wird; an der Entwicklung der Novelle hatten die Kommentatorinnen und Kommentatoren einen entscheidenden Anteil. Dieser ist nur im Netz zu erleben, für das Buch haben wir, meine Lektorin und ich, sogar die Chronologie verändern, nämlich der Buchform anpassen müssen – was einige Folgen für die Dramaturgie hat. Ich kann heute gar nicht sagen, welche Fassung mir mehr gefällt, stilistisch betrachtet, gewiß die Buchform, dynamisch aber die des Netzes.
Auch für viele andere Beiträge in Der Dschungel bin ich der Meinung, daß sich dort Dichtung ereignet, so in unzähligen Arbeitsjournalen, die sich ja auch quer durch die Formen spielen. Erinnern Sie sich bitte, daß ich mit freien Rhythmen erstmals >>>> in den Arbeitsjournalen experimentiert habe; auf die ihre Anfänge charakterisierende und immer mehr zunehmende Herausarbeitung des Verhältnisses von privat zu öffentlich will ich gar nicht erst eingehen. Und insofern Sie etwa Kafkas Tagebücher, aber Tagebücher von Literaten überhaupt, der Literatur und Dichtung zuschlagen, ist dies für die Arbeitsjournale (nicht alle, zugegeben) ebenfalls anzuwenden. Ob es getan werden wird, werde ich selbst allerdings nicht mehr erleben; die Zukunft wird es zeigen.
Daneben ist in Der Dschungel die Entwicklung einer poetischen Ästhetik mitzuerleben, und neu ist, daß es auch die verworfenen Ansätze sind. Insgesamt ist Dichtung im Netz eine prozessuales Kunstform, die im Buchform nicht um Verdinglichung herumkommt; dort sprechen wir von „zwischen den Zeilen“ lesen, wir müssen also stets auf eine Metaebene springen, die das Netz aber schon immer gleich mitist.
Abgesehen davon hänge selbstverständlich auch ich am Buch, sehr. Ich kann mir gar nicht vorstellen, ohne das Buch zu sein, das für mich nach wie vor die materiale Realisierung meines poetischen Lebens ist. Gar keine Frage. Aber eben: für mich. Ich bin geprägt ganz wie Sie, aber weiß eben, daß es eine Prägung ist. Bereits die Generation meines Sohnes hat sie nicht mehr; dennoch sind viele ihrer Menschen, mein Sohn ebenfalls, künstlerisch tätig. Im Mittelalter führten Dichter wie Wolfram von Eschenbach die Dichtung dadurch zu neuer Blüte, daß sie sie auf der Technik des Memorierens aufbauten; in ihrer Zeit war das Medium der Vortrag. Viele von ihnen konnten nicht einmal schreiben, müssen aber einen irren Kopf besessen haben, wenn sie so etwas wie den Parzifal komplett auswendig konnten. (Bei vielen Dichtern hat sich das noch sehr lange erhalten – denken Sie etwa an Dostojewski, der große Teile seines Werkes nicht selber aufschrieb, sondern aus seinem Kopf heraus diktierte.) [Poetologie
Litblog-Theorie] Wird geladen… Antworten- petergogolin sagt: 10. April 2020 um 13:00 Nun kenne ich ja etwas von der leidigen Publikationsgeschichte der „Fenster…“. Ebenso weiß ich von der Buchabstinenz unserer Kindergeneration. Doch sehe ich dafür andere Gründe. Da sind luhmannsche Kräfte am Werk, also Bestrebungen des Abbaus von Komplexität, was dort, wo noch gelesen wird, zum Konsum des Banalen führt. Mit Internet versus Gutenberg hat das erstmal gar nichts zu tun. Und schon gar nicht wird im Internet etwas Komplexes akzeptiert, das als Buch abgelehnt wird. Das alles sind Tendenzen, die die Entpoetisierung der Welt betreiben, um sie ständig verfügbarer, verwertbarer zu machen. Verkaufs- und Zugriffszahlen eignen sich zudem sowieso nicht, irgendetwas zu beweisen. Ihre Zugriffszahlen fielen sofort auf Null, wenn die Leute dafür bezahlen müssten, Ihre Seite zu besuchen. Ich schlage deshalb eine Engführung der Debatte vor. Sie nennen mir einen Romanstoff, ein Prosa-Projekt (um sie nicht auf den Roman festzulegen, den ich allerdings immer noch für die flexibelste Form halte), von dem Sie eindeutig zeigen können, dass es zwingend die Realisierung im Internet verlangt. ABER – nur eine Bedingung – der Grund für die Realisierung im Internet sollte nicht bloß ein formaler sein, der Stoff sollte dem Leser im Internet vielmehr eine poetische Erfahrung ermöglichen, die anders nicht zu erreichen wäre. Wenn Ihnen das gelänge, so wäre ich sofort bei Ihnen. https://widgets.wp.com/likes/#blog_id=173535528&comment_id=56304&origin=dschungel-anderswelt.de&obj_id=173535528-56304-5f535203772f1 Antworten
- Alban Nikolai Herbst sagt: 11. April 2020 um 12:40 Zu Ihrer letztgenannten Aufforderung – so ist es Die Dschungel-selbst in ihrer Konstellation und quasi-Gleichzeitigkeit, inklusiver der Verweise, was sich in einem Buch niemals so hätte realisieren lassen, schon weil der poetische Echtzeit-Charakter einem Buch verschlossen bleiben muß, auch dem Roman, weil zwischen seiner Fertigstellung und dem materialen Erscheinen mindestens noch einmal anderhalb Jahre vergehen, meistens sogar noch mehr,
Aber Sie nennen außerdem doch nun schon einige Male s e l b s t Die Fenster von Sainte Chapelle. S o, wie sie in Der Dschungel stehen und sich dort entwickelt haben, wäre es ebenfalls in einem Buch nicht möglich gewesen. Deshalb sind es ja nun eben z w e i Texte, die Ähnlichkeiten haben – mit je verschiedenen Stärken und Schwächen -, aber keineswegs identisch sind. Nicht ganz anders die Arbeitseinträge, deren Überarbeitung stets mitzuverfolgen waren, der Bamberger Elegien; insofern die Genese eines Kunstwerks Teil des Kunstwerks ist, ist d i e s e Forderung der jungen literarischen Moderne hier in Der Dschungel geradezu beispielhaft vorgeführt worden, und das eben war – und ist weiterhin – meine poetische Intention. Unterm Strich verbindet Die Dschungel den klassizistischen Ansatz (Auktorialität, hohes Stilniveau usw.) mit seinem gleichzeitigen Durchbrechen. Genau das ist das Neue, was das Netz anheimstellt – wenn man sich denn drauf einlassen will. https://widgets.wp.com/likes/#blog_id=173535528&comment_id=56305&origin=dschungel-anderswelt.de&obj_id=173535528-56305-5f5352037775a Antworten- PHG sagt: 12. April 2020 um 19:56 Ich denke mal, ich schlage ein Ende des Gesprächs vor (vorläufig?). Und zwar aus 3 Gründen. 1.) Sehe ich, dass wir einen zu verschiedenen Poetik-Begriff haben. Darüber zu sprechen wäre zwar grundsätzlich interessant, führt hier aber zu weit. 2.) deshalb, weil ich davon ausgehe, dass das Werk, dessen Form das Internet zwingend benötigt, erst noch realisiert werden müsste. Während Sie davon ausgehen, es längst geschaffen zu haben. 3.) weil ich dem Internet diese Verwendbarkeit grundsätzlich abspreche. Wenn dem anders wäre, so hätte es sich in den letzten 30 Jahren als Kunstform bereits etabliert. Es hatte sicher einige Zeit hindurch diese utopische Potenz, was Sie früh erkannt haben. Man hätte diese Potenz vielleicht tatsächlich realisieren können. Doch wie immer in der Geschichte zeigt sich auch im Fall des Internets, dass Geschichte das Zerbröckeln des Sinns ist. Nun gut, anderes wird kommen. Bis dahin bleibt uns das Buch. https://widgets.wp.com/likes/#blog_id=173535528&comment_id=56306&origin=dschungel-anderswelt.de&obj_id=173535528-56306-5f53520377bff Antworten
- Alban Nikolai Herbst sagt: 13. April 2020 um 14:27 Das ist ein bißchen schade, ginge es doch gerade darum, die Verschiedenheiten der Poetiken darzustellen und wesjhalb sie so verschieden sind. Aber gut, selbstverständlich akzeptiere ich diesen Rückzug – möchte aber doch darauf hinweisen, daß ich >>>> im heutigen Arbeitsjourna noch einmal die Gründe/Gegebenheiten einer poetischen Netzästhetik angedeutet habe.
Den Artikel hier selbst werde ich nunmehr in das Datum seines Entstehens einbetten; er bleibt aber über diesen Kommentarbaum auch über die Hauptsite schnell zugänglich.
- Alban Nikolai Herbst sagt: 13. April 2020 um 14:27 Das ist ein bißchen schade, ginge es doch gerade darum, die Verschiedenheiten der Poetiken darzustellen und wesjhalb sie so verschieden sind. Aber gut, selbstverständlich akzeptiere ich diesen Rückzug – möchte aber doch darauf hinweisen, daß ich >>>> im heutigen Arbeitsjourna noch einmal die Gründe/Gegebenheiten einer poetischen Netzästhetik angedeutet habe.
- PHG sagt: 12. April 2020 um 19:56 Ich denke mal, ich schlage ein Ende des Gesprächs vor (vorläufig?). Und zwar aus 3 Gründen. 1.) Sehe ich, dass wir einen zu verschiedenen Poetik-Begriff haben. Darüber zu sprechen wäre zwar grundsätzlich interessant, führt hier aber zu weit. 2.) deshalb, weil ich davon ausgehe, dass das Werk, dessen Form das Internet zwingend benötigt, erst noch realisiert werden müsste. Während Sie davon ausgehen, es längst geschaffen zu haben. 3.) weil ich dem Internet diese Verwendbarkeit grundsätzlich abspreche. Wenn dem anders wäre, so hätte es sich in den letzten 30 Jahren als Kunstform bereits etabliert. Es hatte sicher einige Zeit hindurch diese utopische Potenz, was Sie früh erkannt haben. Man hätte diese Potenz vielleicht tatsächlich realisieren können. Doch wie immer in der Geschichte zeigt sich auch im Fall des Internets, dass Geschichte das Zerbröckeln des Sinns ist. Nun gut, anderes wird kommen. Bis dahin bleibt uns das Buch. https://widgets.wp.com/likes/#blog_id=173535528&comment_id=56306&origin=dschungel-anderswelt.de&obj_id=173535528-56306-5f53520377bff Antworten
- Alban Nikolai Herbst sagt: 11. April 2020 um 12:40 Zu Ihrer letztgenannten Aufforderung – so ist es Die Dschungel-selbst in ihrer Konstellation und quasi-Gleichzeitigkeit, inklusiver der Verweise, was sich in einem Buch niemals so hätte realisieren lassen, schon weil der poetische Echtzeit-Charakter einem Buch verschlossen bleiben muß, auch dem Roman, weil zwischen seiner Fertigstellung und dem materialen Erscheinen mindestens noch einmal anderhalb Jahre vergehen, meistens sogar noch mehr,
- petergogolin sagt: 10. April 2020 um 13:00 Nun kenne ich ja etwas von der leidigen Publikationsgeschichte der „Fenster…“. Ebenso weiß ich von der Buchabstinenz unserer Kindergeneration. Doch sehe ich dafür andere Gründe. Da sind luhmannsche Kräfte am Werk, also Bestrebungen des Abbaus von Komplexität, was dort, wo noch gelesen wird, zum Konsum des Banalen führt. Mit Internet versus Gutenberg hat das erstmal gar nichts zu tun. Und schon gar nicht wird im Internet etwas Komplexes akzeptiert, das als Buch abgelehnt wird. Das alles sind Tendenzen, die die Entpoetisierung der Welt betreiben, um sie ständig verfügbarer, verwertbarer zu machen. Verkaufs- und Zugriffszahlen eignen sich zudem sowieso nicht, irgendetwas zu beweisen. Ihre Zugriffszahlen fielen sofort auf Null, wenn die Leute dafür bezahlen müssten, Ihre Seite zu besuchen. Ich schlage deshalb eine Engführung der Debatte vor. Sie nennen mir einen Romanstoff, ein Prosa-Projekt (um sie nicht auf den Roman festzulegen, den ich allerdings immer noch für die flexibelste Form halte), von dem Sie eindeutig zeigen können, dass es zwingend die Realisierung im Internet verlangt. ABER – nur eine Bedingung – der Grund für die Realisierung im Internet sollte nicht bloß ein formaler sein, der Stoff sollte dem Leser im Internet vielmehr eine poetische Erfahrung ermöglichen, die anders nicht zu erreichen wäre. Wenn Ihnen das gelänge, so wäre ich sofort bei Ihnen. https://widgets.wp.com/likes/#blog_id=173535528&comment_id=56304&origin=dschungel-anderswelt.de&obj_id=173535528-56304-5f535203772f1 Antworten
- Alban Nikolai Herbst sagt: 10. April 2020 um 8:13 Lieber Gogolin,
- PHG sagt: 9. April 2020 um 12:53 Alles natürlich bekannt, entkräftet die genannten Punkte aber nicht. Und ich finde – mit Verlaub gesagt – Ihren Abgesang auf das Buch doch etwas seltsam. Alles aus Ihrer Feder (ich weiß, schon wieder so eine veraltete Metapher – aber sollte ich ASCII-Tabelle sagen?) -, das einen hinreichenden Kunstanspruch geltend machen kann, findet sich bisher zwischen zwei Buchdeckeln. Selbst z.B. „Die Fenster von Sainte Chapelle“, im Internet verfasst, bekamen ihre gültige Form als Buch und werden, so sie gelesen werden, als Buch gelesen und gewiss nicht auf Ihren Internetseiten. Sie werden die Zugriffszahlen haben. Davon ab ist gerade dieser Text ein Beispiel für eine einigermaßen gewöhnliche Ich-Erzählung, für die es als Schreib- und Publikationsort gewiss nicht das Internet gebraucht hätte. Kurz, der/die Dschungel hier ist der einzige Teil Ihres Schreibens, der konsequent im Internet stattfindet. Das ist schön, das ist vielleicht sogar ein Alleinstellungsmerkmal im deutschsprachigen kleinbuschigen Literaturland, doch verglichen mit Ihren so altertümlich im Buchdruck erschienenen Werken ist die Dschungel literarisch doch eher marginal, trotz seines Umfangs. Verzeihen Sie mir, dass ich so hochgradig voreingenommen für DAS BUCH plädiere. Ich entstamme geistig einem Volk des Buches. Wenn ich in meinen Bibliotheken stehe, ja, ich habe mehr als eine, die verlorene nicht mitgezählt, stehe ich am Ufer des Meeres. Im Internet stehe ich nirgendwo. Sie sahen beim Aufkommen des Internets literarische Entwicklungsmöglichkeiten. Das bleibt von mir aus unbenommen, auch wenn es sich seither während der Lebenszeit des Internets nicht realisiert hat. Aber Bücher kann man lieben, und es gibt welche der Ihren, für die ich solche Gefühle hege, für das Internet habe ich bisher bestenfalls Ärger empfunden, wenn das WLAN mal wieder nicht funktioniert. PS: Damals, in den 80gern, als die Autoren begannen, auf den ersten unvollkommenen Computern zu schreiben – ich war sofort dabei und schrieb mit Hilfe eines Z80-Prozessors – haben Sie das Internet entdeckt. Etwa zeitgleich kehrten eine Reihe von Kollegen zur Handschrift zurück. Zu diesen Handschriftlern gehörte damals auch Handke, von dem Sie mir letzthin schrieben, er bzw. sein Werk sei eines der wenigen aus der Gegenwartsliteratur, das bleiben werde. Das glaube ich auch. PPS: Die Obstdiebin nicht. Wird geladen… Antworten