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Schwierig beginne dein Jahr

Wiesbaden, Montag, 11. Januar 2016, bei Allan Pettersson: Symphony No. 8
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Im Gegensatz zum Jahr 2015, das ich mit großer Abneigung begann – mit Befürchtungen, die sich allesamt mehr als erfüllen sollten -, bin ich dem Jahr 2016 unvoreingenommen begegnet und verspreche mir viel von ihm. Schwierig begonnen hat es trotzdem, und es wird sich, zumindest in nächster Zeit, auch so fortsetzen. Bedingt durch den Tod meiner Mutter, haben sich viele notwendige Arbeiten massiv verzögert. Ich konnte zum Jahresende froh sein, dass ich wenigstens noch die letzte – fünfte – Korrektur meines Brasilien-Romans abzuschließen vermochte. Die Niederschrift des Romans hatte ich bereits im August 2014 beendet. Die Korrektur dauerte bis Ende Dezember 2015. Nun wäre dies im Grunde ja trotzdem ein schönes Ergebnis, doch da wir im vergangenen August von der Insolvenz des Kulturmaschinen Verlages erfuhren, so macht auch der neue fertige Roman nicht heiter. Erstens sind damit für mich fünf Bücher vernichtet, die ich in den letzten Jahren für diesen Verlag geschrieben habe. Und zweitens heißt es ja, dass ich wieder ohne Verlag dastehe und erneut ‚Klinken putzen‘ muss. Keine angenehme Vorstellung in meinem Alter und nachdem man sein Leben hindurch so viele Bücher veröffentlicht hat. Ja, eigentlich ist die Vorstellung, wieder einen neuen Verlag suchen zu müssen, sogar ganz und gar unerträglich für mich. Fast liegengeblieben ist in dieser Zeit auch meine Übersetzungsarbeit an den Poundschen Cantos, da ich sie während der Tage, die ich am Sterbebett meiner Mutter verbrachte, nur geringfügig weiterführen konnte. Ich übersetzte Teile aus dem Canto VII, die noch gar nicht ‚dran waren‘, weil ich mich damit wohlerfühlte, als in der Reihenfolge weiterzumachen. Nun, es wird alles irgendwann seinen Platz finden. Es kommt hinzu, dass mir für den 1. Februar eine größere Augenoperation bevorsteht, für die jetzt in diesem Monat noch alle Voruntersuchungen abgeschlossen werden müssen. Nach der ersten OP zu Februarbeginn werde ich für Wochen kaltgestellt sein. Alle Arbeiten, soweit sie die Augen erfordern, werden brachliegen müssen. Es ist ein wenig so, als habe jemand über mich verfügt »Schwierig beginne dein Jahr!« Trotzdem habe ich mich entschlossen, ein neues Buch anzufangen. Es trägt den Arbeitstitel »Zehn Tage mit meiner Mutter« und soll die Zeit schildern, die ich bis zu ihrer Todesstunde in der Nacht zum 4. Dezember um 16 Minuten vor ein Uhr an ihrem Sterbebett verbracht habe. Aber natürlich nicht nur dies, denn das Buch soll auch die Anwesenheit der Vergangenheit in der Gegenwart erzählen; das Leben meiner Mutter in der Nussschale dieser zehn Tage, die ich an ihrem Bett saß, bis die Stille nach dem letzten Atemzug mir ihren Tod verkündete. Eigentlich ist dieses Buch beziehungsweise die Arbeit daran das einzige, was mich gegenwärtig interessiert. Brasilien-Roman, Verlagsinsolvenz, Augen OP usw. hin oder her. Ich habe mir sogar schon vorgenommen, dass ich in der Zeit, in der mir das Augenproblem die Arbeit be- oder verhindern wird, erstmals versuchen will, das Buch zu diktieren. Vielleicht hilft mir ja die Technik über das Problem hinweg, Ich weiß aber noch nicht, welches Programm dafür das Beste ist und ob es auf dem Mac verfügbar ist. Bisher habe ich die ersten 4000 Wörter an diesem Mutter-Buch geschrieben, das ist noch nicht viel, aber dieser Anfang zeigt mir vom Ton her die Richtung, in die es gehen könnte. Das Jahr 2016 wird zeigen müssen, wie weit ich damit komme, denn ich habe mir vorgenommen, die nächsten elf Monate daran zu arbeiten. Diese Zeit lehnt sich gewissermaßen an die Trauerzeit des Kaddisch im jüdischen Ritus an, denn ich betrachte das Buch als eine Art Kaddisch für meine Mutter. Das Schreiben als meine Art des Trauergebetes. Was freilich nicht heißen soll, dass es ein nur trauriges Buch werden wird. Ganz und gar nicht, damit würde ich meiner Mutter nicht gerecht, denn sie besaß viel Humor. Was freilich an ihrer Intelligenz lag. Ohne die notwendige Intelligenz konnte man ihren Humor nicht verstehen. Ja, das wird in etwa der Fahrplan meines Jahres 2016 sein. Ich bin gespannt darauf.

Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker

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