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Wird sie es lieben?

Venedig, Dienstag, 28. Juni 2016, seit dem Morgen bei Callas-Musike in fünf Opern von Verdi, Gluck und Bellini

Zeitlich betrachtet bin ich mit meinem neuen Manuskript, dem Mutterbuch, jetzt zur Hälfte durch, denn ich hatte mir dafür eine Arbeitszeit von elf Monaten vorgesetzt. Tatsächlich bin ich aber viel weiter. Es trägt den Arbeitstitel „In der Nacht des zehnten Tages“, besitzt dementsprechend zehn Teile (und eine Coda), und ich habe inzwischen außer den Teilen 8, 9 und 10 bereits alles geschrieben.

Das gibt etwas Sicherheit, denn die zwei Wochen Arbeitsunterbrechung, die durch die Renovierung Ende Juli und Anfang August in meine geplanten elf Monate Schreibzeit fällt, wird dadurch zu verkraften sein.

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Aber nur etwas, da ich mein Arbeitszimmer vollständig werde räumen müssen. Und zwar bereits vor der Renovierung. Und wie lange es danach brauchen wird, um alles wieder einzuräumen, aufzubauen etc. und nach der Unterbrechung neu zu beginnen, das ist nicht abzusehen.

Sinngemäß las ich bei einer Autorenkollegin, die ich sehr schätze, vor Tagen auf Facebook den Satz, dass das Schreiben eben nicht nur aus dem jeweils augenblicklichen Schreiben besteht, sondern vielmehr aus dem ganzen Schriftstellerleben, das man geführt hat. Recht hat sie, dachte ich, und darum ist das Schreiben eben auch mitunter so ein schwieriges, anfälliges Unterfangen, das im Grunde gar nicht vergleichbar ist mit anderer Arbeit; vielleicht noch mit der eines Komponisten.

Im Falle meines gegenwärtigen Buches ist es sogar so, dass ich es im Grunde nur für mich selbst schreibe und wohl gar nicht veröffentlichen werde. Es behandelt die letzten zehn Tage im Leben meiner Mutter, die ich durchgehend an ihrem Sterbebett verbracht habe. Für mich ist das Schreiben dieses Buches zum einen eine Pflicht meiner Mutter gegenüber, denn sie hat sich kurz vor ihrem Tod gewünscht, dass ich ihr Leben aufschreibe. Andererseits ist dieses Schreiben eine Art Ritus für mich, denn ich, religionsferner Mensch, der ich bin, bemerkte, nachdem ich sie beerdigt hatte, dass ich eine Form brauchte, um mit ihrem Sterben, ihrem Tod und dem, was für mein Weiterleben daraus folgt, umzugehen.

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Anfang des Monats, als ich von der Textmenge her etwa die Hälfte des Buches fertig hatte, führte ich mit meiner Schwester einen WhatsApp-Chat, in dem ich ihr erstmals schrieb, dass ich an diesem Buch arbeite. Es ergab sich folgender Dialog:

Schwester: „Werde ich es lieben?“
Ich: „Wenn Du mich liebst!“
Schwester: „Eine salomonische Antwort.“
Ich: „Gibt es denn überhaupt ein Buch von mir, das Du liebst? Wenn nicht, dann ist die Chance gering.“
Schwester: „Ich warte einfach ab.“
Ich: „Eine salomonische Antwort.“

Nun, wie auch immer, ich schreibe das Buch ja nicht für meine Schwester. Und wenn es so ausfallen müsste, dass sie es lieben könnte, so müsste ich vermutlich ununterbrochen lügen. Im Grunde schreibe ich es nur für mich und weil ich erst nach diesem Buch mit etwas anderem weitermachen kann. Das Mutterbuch steht für mich  v o r  jedem anderen Schreiben, das von mir noch kommen könnte. Denn, wie die Kollegin sagte, schreiben meint für einen Schriftsteller immer das ganze Leben.

Bleiben Sie glücklich
wünscht Ihnen Ihr PHG

 

 

 

Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker

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