Literatur,  Satire

Lieber einen Metzger!

Wiesbaden, Sonntag den 13. September 2015, bei César Francks Sinfonie in d-moll unter Toscanini

Nach altem Fränkischen Recht, so las ich, soll es möglich gewesen sein, enterbt zu werden, wenn man ohne Einwilligung des Vaters Künstler werden wollte. Nun gab es in meiner Familie eh nichts zu vererben, insofern bin ich nicht betroffen. Aber ich bin sicher, dass in einer Welt, die ihren Nachwuchs  nicht mehr auf die veraltete Methode „erzeugt“ und stattdessen Retorten-Babys bevorzugt, eine entsprechende genetische Disposition durchaus zum Problem werden könnte.

Wofür würden Sie sich entscheiden? Angenommen die Genetiker sagen Ihnen vor der künstlichen Befruchtung, dieses Kind (nennen wir es A – wie Autor) wird mit 20% Wahrscheinlichkeit Künstler, während ein zweites (nennen wir es B – wie Busfahrer, Beamter, Balkonpflanzenverkäufer, Bademeister, Bratröhrenreiniger … ach egal, reicht) mit 40% Wahrscheinlichkeit Metzger wird? Na? Seien Sie ehrlich, Sie würden den Metzger wählen! Allenfalls würden Sie sich darüber beschweren, dass Ihnen die Wahrscheinlichkeit für diese Metzger-Karriere nicht groß genug ist. Könnte sich in jemandem, der nur zu 40% Metzger-Gene besitzt, nicht am Ende doch noch irgendwo in den unendlichen Falten des Eiweißmoleküls namens DNA ein armer Spielmann verbergen?

Diese Form der vorsorglichen Abtreibung würde sich kaum jemand entgehen lassen, der die vermeintliche Verantwortung für seinen Nachwuchs ernst nimmt. Sie müssten es schon aus reiner Fürsorge tun! Denn für den Künstler, schrieb schon Ernst Jünger, ist die Gefahr evident „im Getriebe der ökonomischen Welt zermalmt zu werden oder zu einer halb komischen, halb erbärmlichen Existenz an ihren Rändern verurteilt zu sein.“ Angesichts solcher Aussichten müssen Sie als werdende Eltern einfach unruhig werden.

Und natürlich gelten solche Vorsichtsmaßnahmen auch noch nach der Eiablage … äh, will sagen, angenommen andere Eltern hätten sich nicht derart sozial verantwortlich gezeigt oder gar aus schierer Unachtsamkeit in sexueller Erregung einen Künstler gezeugt, der nun frech daherkommt und Ihre unschuldige Tochter, die Sie sorgfältig nach Modell S (also S – wie Sparkassenangestellte, Schuhverkäuferin, Salatschleuder-Designerin usw.) in der Samenbank ausgewählt haben, … äh, ja, was will der eigentlich mit der machen, der Tochter? Aber das ist eh schnurz, der soll einfach weg! Der hat in Ihrer Familie nichts zu suchen! Basta!

Bitte glauben Sie nicht, dass ich übertreibe. Es ist in Wahrheit noch viel schlimmer. Ich weiß, wovon ich hier schreibe. Nicht nur bin ich selbst jemand, der solch ein gänzlich überflüssiges Künstlerleben führt, das man der Welt bei rechtzeitiger Planung hätte ersparen können. Ich habe zudem auch Freunde, die ein ganz ähnliches Schicksal teilen. Einer ist dabei, der zwar seit Jahren die wohl besten Bücher schreibt, die in diesem Lande überhaupt geschrieben werden, dafür aber schlicht totgeschwiegen wird (totschweigen – einzige verbleibende Notwehrmaßnahme im Falle, dass vorbeugende Planung versäumt wurde). Er muss sich sogar das Geld für die Miete leihen. Wollen Sie sowas unterstützen? Doch echt nicht, oder? Dabei hat er eine so kleine Wohnung, dass sie einem auch nur durchschnittlich erfolgreichen Schlachter nichtmal als Abstellraum in der hintersten Ecke des Kellers reichen würde.

Oder nehmen Sie am besten gleich mich, um vollends einen Blick in den Abgrund zu tun. Gestern erhielt ich von einem Probeleser eine ausführliche Stellungnahme zum Manuskript meines Brasilien-Romans. Darin hieß es unter anderem „Insgesamt, lieber Peter, scheint mir das ein Buch zu sein, das über das hohe Niveau, auf dem Du schreibst, noch hinausgeht. … Ich glaube deshalb, dass Dir mit dem Buch ein Wurf gelungen ist, der größer sein könnte, als es „Calvinos Hotel“ war.“ Und wissen Sie, was ich, solches lesend, ganz automatisch dachte? Ich dachte: Oh, Gott, noch besser als „Calvinos Hotel“? Also noch weniger Leser? Sie verstehen, glaube ich, was ich sagen will. In meinem Fall ist die Einsicht zwar da, aber hat sie irgendwie geholfen? Nein, natürlich nicht, denn schließlich habe ich das verdammte Buch, das hier so gelobt wird, ja trotzdem geschrieben.

Ach, es ist und bleibt ein Elend. Ich kann also nur hoffen, dass es ebenfalls totgeschwiegen wird, falls ich dereinst einmal den Fehler machen sollte, meinen Brasilien-Roman (den Titel verrate ich Ihnen nicht, das ist doch schon mal ein Schritt in die richtige Richtung, oder?) zu veröffentlichen. Viele meiner Freunde haben darin schon eine ziemliche Übung, einige schweigen sogar eine ganze Roman-Trilogie tot. Das muss man erstmal schaffen. Also insofern ist Hoffnung, dass noch nachgeholt kann, was ganz am Anfang mit weit weniger Aufwand hätte vollbracht werden können.

Ich bitte Sie also, nehmen Sie das Problem nicht auf die leichte Schulter! Bekanntlich gibt es selbst in den besten Familien Töchter, die unbedingt tanzen wollen. Und ob Sie es mir glauben oder nicht, ich habe sogar einen regelrechten Groß-Metzger erlebt, der Romane schreiben wollte. Ist echt voll wahr. Mit meiner Hilfe hat er das auch tatsächlich geschafft. Und zwar mehrfach. Die Bücher sind dazu noch recht gut. Aber die Großschlachterei ist er los.

PS: Ich habe Nachfragen erhalten, ob ich schwer depressiv sei o.ä. Zur Beruhigung, das ist nicht der Fall. Ich habe lediglich gestern versäumt, an diesen BLOG-Beitrag zur Tarnung „VORSICHT SATIRE !“ zu schreiben. Bleiben Sie glücklich.

Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker

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