Der oberste Tee-Einschenker
An einem Vormittag wie dem heutigen, der mich mit den üblichen Ereignissen und Geräuschen aus dem Weltinnenraum begleitet,
– ein Flugzeug sinkt im Landeanflug auf Frankfurt über das Haus (also hat die Windrichtung gewechselt)
– ein Kind am Sandkasten weint (hysterisch strafender Ton der Mutter)
– ein Mann, der in der Hitze des Sommertages einen vollen Bierkasten aus dem Kofferraum wuchten muss, um sein Wochenende zu sichern, flucht, weil er sich die Finger geklemmt hat
– der Nachbar bekommt Besuch, der ihm beim Ausräumen der Wohnung helfen soll; seine Frau hat ihn endgültig verlassen
– eine Frau ruft: Sind die Blattläuse noch da?
denke ich mitunter an den obersten Tee-Einschenker. Meist habe ich dann einen derart sinnlosen Tag hinter mir wie den vergangenen Freitag.
Mit der Angst im Nacken, dass ich für die letzten Kapitel des Romans die notwendige Konzentration, die mir die Ankunft der Handwerker vor drei Wochen geraubt hat, nie wieder finden werde, auf die Autobahn. Dort für eine Fahrt von achtzig Minuten drei Stunden im Stau verbracht, um am Ankunftsort nicht nur gegen eine Mauer zu fahren (im realen wie im metaphorischen Sinne), sondern auch noch miterleben zu müssen, wie der letzte Zuhörer den Veranstaltungsraum eben in dem Moment verlässt, da wir mit anderthalb Stunden Verspätung vor dem Haus ankommen.
Die Rückfahrt spät in der Nacht in einem Zustand, der mit dem Begriff Enttäuschung auf geradezu lächerliche Weise positiv umschrieben wäre. Eher war es eine umfassende Leere, als habe man endlich begriffen, dass man so weit jenseits aller zukünftigen Möglichkeiten angekommen war, dass man sich auch mitten im schwarzen Nichts des Weltraums hätte befinden können. ›Hallo Houston, können Sie mich hören? Ist da jemand? Houston hören Sie mich?‹ Keine Antwort, keine Antwort.
Nach solchen Tagen denke ich hin und wieder an den obersten Tee-Einschenker. Nach Tagen also, von denen ich weiß, dass man so wenig eine Antwort erhält, dass ich die Frage schon gar nicht mehr stelle. Nach Tagen, an denen man wieder daran erinnert worden ist, dass man sich seit ewigen Zeiten zum Idioten macht.
Der oberste Tee-Einschenker begleitet mich seit einem Frühstück, nachdem ich den Tisch abzuräumen begann und J. plötzlich erstaunt fragte: »Ist denn der Tee schon leer.« Ich räumte das Geschirr weiter in die Spülmaschine ein, während ich sagte: »Ja natürlich, ich habe doch vorhin den Rest eingeschenkt.« In diesem Moment begriff ich, dass es so demnächst auch mit unserem Leben sein wird. Ist denn die Kanne schon leer, werden wir fragen. Und der oberste Tee-Einschenker wird antworten …