Die Konzessionen des Herzens
In vielfacher Hinsicht habe ich zwar in den vergangenen Wochen auch immer wieder am neuen Roman „Die Konzessionen des Herzens“ gearbeitet, strukturierend, Material sammelnd, viele Opern hörend (den ganzen Wagner u.a., bei dem ich jetzt seit gestern erneut mit dem „Ring“ begonnen habe, heute zweiter Tag „Siegfried“, dazu 13 der 26 Verdi Opern und einiges im Umkreis), zudem überhaupt allgemein sehr viel zur Musik gelesen, über den Aufbau eines Opernhauses z.B., aber tatsächlich wieder im Stoff arbeiten, das tue ich erst wieder seit gestern. Und auch wenn es naturgemäß bisher noch nicht viel ist, so ist doch der Umstand selbst ungeheuer befriedigend.
Zwei Punkte sind noch zu vermerken. Zum einen die Reise nach Naumburg, wo die Liebste inzwischen in der dritten Woche Ecos „Der Name der Rose“ für das Freilichttheater im Sommer inszeniert. Ich hatte ja bereits seit zwei Wochen dort sein wollen, dann verschob sich alles infolger vieler Arbeiten, die ich zuvor noch zu erledigen hatte. Und inzwischen ist auch die Planung, nach der die Liebste am Samstag mit dem Wagen zurückkommen wollte, um dann mein Gepäck – Kleidung für 2 Wochen plus Handbibliothek etc. – einzupacken und mit mir gemeinsam am Sonntag nach N. zu fahren, über den Haufen geworfen worden, da die Belastung durch die Fahrt für sie zu groß wäre. Sie hat ja zudem am Samstag noch den üblichen halben Probentag, sodass ich in unserem Abendgespräch entschieden habe, mit dem Zug nach Naumburg/Saale zu fahren, um ihr die insgesamt über 700 Kilometer für die Hin- und Rückfahrt zu ersparen.
Zweitens war ich in der letzten Woche auch damit beschäftigt, mir aus Recherchegründen eine Hospitanz in der Oper zu besorgen, weil ich unbedingt eine vollständige Opernproduktion begleiten und möglichst umfänglich dokumentieren möchte. Meine Hauptfigur für den neuen Roman, Siegmund (Zygmunt) Androvski, ist bzw. war ja Opern-Regisseur, und ich wäre schlecht beraten, wenn ich in dieser Hinsicht nicht gründlich recherchieren und mich stattdessen auf mein allgemeines Wissen über die Oper und das Musiktheater verlassen würde.
Ich kontaktierte deshalb auf einen Vorschlag der Liebsten hin >>>> Andreas Baesler, der gerade am >>>> Landestheater Linz Verdis „Il Trovatore“ inszeniert und am 14. Mai damit Premiere hat. Ich schilderte ihm mein Vorhaben, dem er auch durchaus aufgeschlossen gegenüber stand, doch stellte sich im Gespräch schnell heraus, dass ich seine bevorstehende Inszenierung von Claudio Monteverdis Oper „Il Ritorno di Ulisse in Patria“, die am 25. September in Münster Premiere haben soll, nicht begleiten kann, da die dreiwöchigen Vorproben bereits Anfang Juli beginnen werden und diese erste Probenphase damit in die Zeit unserer Atlantiküberquerung und die New York-Reise fallen wird. Andreas bot mir dann an, seine Inszenierung von >>>> Gaetano Donizettis Oper „L‘Elisir d‘Amore“ zu hospitieren, die bereits am 2. Juli im Aalto-Musiktheater Essen Premiere haben wird, was noch vor unserer New York-Reise läge, doch beginnen dafür die Proben bereits in einer Woche, sodass ich meinen Aufenthalt in Naumburg nach der Hälfte der geplanten Arbeitsphase abbrechen müsste und mich natürlich auch kaum noch auf die Produktion vorbereiten kann.
So lief es dann gemäß der weiteren Planung von Andreas‘ Inszenierungen auf >>>> Benjamin Brittens Oper >>>> „Peter Grimes“ hinaus, die erst im Jahre 2012, am 25. März in Münster Premiere haben wird.
Darauf freue ich mich sehr, zumal ich die Oper selbst einigermaßen kenne und durch den noch recht langen Vorlauf noch einiges an Vorbereitungszeit haben werde. Außerdem wird mir dies hoffentlich Gelegenheit geben, nicht erst ab Probenbeginn an der Produktion teilzunehmen, sondern auch bereits auf den Konzeptionsgesprächen, der Bauprobe etc. anwesend zu sein.
Diese Oper interessiert mich zudem aus zwei Gründen weit mehr, als es eine der Opern aus der Wiener Klassik o. ä. getan hätte. Natürlich hätte mich letzteres musikalisch sehr verführt, aber der Brittensche Stoff birgt im Gegensatz zu der oftmals ja recht oberflächlichen Verwirrhandlung dieser Opern ein echtes Geheimnis. Warum kommen die Lehrlinge des Peter Grimes um? War der Tod des ersten tatsächlich ein Unfall? Was wird da verborgend? Warum benötigt er dann trotz der konfliktreichen Situation unbedingt einen zweiten? Weshalb weist der zweite Lehrling Anzeichen von Misshandlungen auf? Warum kommt er dann so seltsam zu Tode? Und wie ist das mit dem Verhalten der Dorfbewohner? Warum halten sie ihn anfangs sofort für schuldig, den ersten Lehrling getötet zu haben? Und warum entscheidet der Richter trotzdem so klar auf Unfall? Vielleicht nur, weil es tatsächlich einer ist? Gibt es dafür Beweise? Warum entwickelt sich das feindliche Dorf dann zu einem Lynchmob? Mir scheint, in all dem steckt ein höchst aktuelles Thema, das rundum mit gesellschaftlichen Tabus belegt ist. Und ich bin höchst gespannt, wie Andreas Baesler das inszenierend wird.
Es kommt hinzu, dass bei dieser Inszenierung >>>> Andreas Wilkens wieder für das Bühnenbild verantwortlich zeichnen wird. Baesler arbeitet schon lange mit ihm zusammen, und die Ergebnisse haben mich, so weit ich sie kenne, immer begeistert. Zuletzt der überwältigende „Fidelio“, von dem ich hier zwei Bilder von Wilkens‘ Seite einfüge.
Ein Besuch auf >>>> Wilkens HP lohnt sich enorm, wenn man einmal Fotos von seinen bildreichen Inszenierungen sehen möchte. Und den Entwicklungsprozess für „Peter Grimes“ etwas intensiver begleiten zu können, das ist für mich unter diesem Aspekt enorm reizvoll.
Ich will schauen, dass ich im Rest der Woche, vor meiner Abfahrt nach Naumburg, außer den Coachings noch einiges tun kann, was ich zuvor vom Tisch haben möchte. Dazu gehört u.a. die Renzension der Schütt Biographie von „Max Frisch“, die ich schon zur Hälfte fertig hatte, dann aber liegen lassen musste. Außerdem der Abschluss der Lektüre von Peter Sloterdijks Rede >>>> „Regeln für den Menschenpark“, womit ich natürlich über 10 Jahre zu spät dran bin.
Allerdings habe ich letzthin nachholend das Gespräch zwischen Peter Sloterdijk und Hans-Jürgen Heinrichs gelesen, das die beiden in der Frühjahrsausgabe des Jahres 2000 von >>>> LETTRE – International geführt hatten. Siehe dort das Interview „Die Sonne und der Tod – Über mentale Gitterstäbe, Erregungslogik und Posthumanismus sowie über die Unheimlichkeit des Menschen bei sich selbst“ in Heft 48, Jahrgang 2000. Meine endlich begonnene Lektüre von „Regeln für den Menschenpark“ ist eine zwangsläufige Folge daraus. Und beides bewegt mich emphatisch zu der Aussage, dass wir mit Peter Sloterdijk einen der größten Köpfe überhaupt vor uns haben! Ich hatte bisher zu wenig von ihm zusammenhängend gelesen, um das zu erkennen. Jetzt weiß ich es endlich – was allerdings eben auch bedeutet, dass da wieder ein Gesamtwerk auf mich wartet, das noch durchgearbeitet werden will. Egal, mit „Du musst (scusi!) mußt dein Leben ändern“, bin ich schon zur Hälfte durch und fühle mich angesichts des Gedankens bzw. der Bestimmung des Menschen als eines Übenden, als eines Wesens, das aus der Wiederholung entsteht bzw. sich durch die Einübung selbst manifestiert, erschafft, wie befreit. Zum einen natürlich, weil dies in der Tat von so ungeheuer viel befreit. Und zudem knüpft Sloterdijk damit ja auch an den Erfahrungsbegriff meines Aristoteles an … aber das ist natürlich längst schon wieder Stoff für einen neuen Blog-Beitrag. Bleiben Sie glücklich.