Der Schattenbruder

Did you ever get the feeling
that the story is too damn real
and in the present tense?
And that everybody is on the stage
and it seems that you’re the only person
sitting in the audience?
Scating away
on the thin ice of a new day …
Ian Anderson

1

Glaubten wir nicht, dass der Hintergrund und Ablauf unseres Lebens vernünftig, normal und sicher sei, es wäre kaum zu ertragen, dass wir Tag für Tag neu beginnen müssen, als sei nichts geschehen und nichts stände uns drohend bevor. Wir leben wie die Zuschauer im Zirkuszelt, die mit einem warmen Kissen unter dem Hintern den gewagten Schwüngen der Akrobaten am Trapez zuschauen und nicht begreifen, dass es sie selbst sind, die dort um ihr Gleichgewicht kämpfen. Ihr behagliches Zuschauen ist bloß der täuschend lange Moment vor dem bevorstehenden Absturz.

Was uns erwartet, verrät kein Kalender. Die Zukunft verbirgt sich in einem täglich Einerlei, aber wenn es geschieht und wir danach in den Spiegel sehen, dann erkennen wir uns schon nicht mehr mehr.

Am 13. Juni, einem Montag, der zugleich der Tag seines achtunddreißigsten Geburtstags war, gab es für den Schauspieler Gabriel Lenz eine gute und eine schlechte Nachricht. Die Reihenfolge konnte er sich nicht aussuchen, denn sie warteten beide am frühen Nachmittag auf der Mailbox seines Handys, das er versehentlich in der Wohnung gelassen hatte. Aber er hörte die gute trotzdem zuerst. Eine überaus korrekte Männerstimme teilte ihm mit, dass es Montag sei, fünf Minuten nach vierzehn Uhr. Der Mann räusperte sich nach dieser Einleitung zweimal und sagte dann: Herr Lenz, hier ist Cramer, Ignaz Cramer, Intendanz des Theaters in der Rotunde. Sie haben ja in der vergangenen Woche bei uns Ihr Vorsprechen absolviert, wofür ich nochmals danke. Ich wollte Ihnen mitteilen, dass wir uns vorgestern nach eingehenden Beratungen entschieden haben, Sie zumindest für die kommende Spielzeit fest an unser Haus zu engagieren. Ich würde unter anderem gern den Woyzeck mit Ihnen besetzen. Bitte rufen Sie doch möglichst schnell zurück. Die Nummer des Betriebsbüros ist 0711 216 76 11. Sie können dann mit Herrn Kovsky, meinem technischen Direktor, einen Termin absprechen. Danke.

Gabriel Lenz ging zu dem schmalen Küchentisch hinüber, den er bei seinem Einzug vor die Fensterfront geschoben hatte, um ihn als Schreibtisch zu benutzen, und begann zwischen Stapeln von auf dem Gesicht liegenden aufgeklappten Büchern und leeren Tellern, auf denen noch das Besteck und die Reste von nicht mehr zu identifizierenden Mahlzeiten lagen, nach einem Notizblock zu suchen, um sich die Nummer aufzuschreiben. Er war nervös, denn er wollte auf Cramers Anruf möglichst schnell reagieren; es schien ihm kaum wahrscheinlich, dass sie sonderlich lange darauf warten würden, ob er nun zurückrief oder nicht. Gabriel hörte, während er erfolglos nach dem Block kramte, dass die Ansage hinter ihm weiterlief und ein neuer Signalton die nächste Nachricht einleitete. Dann war die Stimme von Johanna, seiner Exfrau, im Raum, die ohne Begrüßung sagte: Hör genau zu. Ich rufe nur an, um zu sagen, dass du dir die Sache mit Nora abschminken kannst. Spar dir lieber die Anwaltskosten. Du bekommst das Sorgerecht für das Kind nie. Was bildest du dir eigentlich ein? Glaubst du etwa, dass irgendein Gericht einem verkrachten Schauspieler, der durch die Weltgeschichte bummelt, ein Kind anvertraut? Lass uns in Ruhe! Es reicht. Das einzige, was du von uns noch kennen musst, ist meine Kontonummer für die Unterhaltszahlungen.

Und dann, nach einer langen Pause, während er schon dachte, dass sie aufgelegt hatte, sagte sie: Gunter lässt dir übrigens ausrichten, dass er dir sämtliche Knochen bricht, falls du nochmal unangemeldet hier auftauchen solltest. Nora kann auf einen Vater wie dich gut verzichten.

Für einen Moment hatte er das Gefühl, sich bei stürmischem Wellengang auf einem Schiff zu befinden. Und dieses Schiff sank. Es sank, und er wußte es genau. Dann kam die Wut und brachte glücklicherweise etwas von seinem Überlebenswillen zurück. Johanna war ein verdammtes Biest. Sie hatte nicht den geringsten Anlass, gerade heute anzurufen und ihm diese Mitteilung zu machen. Er hatte ihr bereits vor sechs Wochen wegen des Besuchsrechts geschrieben, ohne dass sie es für notwendig gehalten hatte, darauf zu antworten. Sie ignorierte seine Briefe seit Monaten. Nun gut. Dass sie sich aber ausgerechnet seinen Geburtstag ausgesucht hatte, um ihre Beschimpfungen loszuwerden, war eine Gemeinheit, und das wusste sie genau. Er konnte der Versuchung nur schwer widerstehen, sofort in Nürnberg zurückzurufen, um ihr für diesen Geburtstagsgruss entsprechend zu danken, unterliess es dann aber, denn er war sicher, dass Johanna ihn gar nicht anhören würde. Sie hatte anscheinend schon die letzten beiden Male einfach das Handy fortgelegt, so dass er geredet hatte, ohne dass ihm jemand zuhörte. Das konnte er sich wirklich ersparen.

Er war bereits im Flur und zog sich die noch feuchten Jacke über, die er kaum zehn Minuten zuvor an den Hacken gehängt hatte, als er merkte, dass er dabei war, sich von Johannas Anruf aus der Wohnung treiben zu lassen, aber dann ging er doch hinaus, denn er hoffte, dass ihm das Gehen wie immer helfen würde, wieder ruhig zu werden. Irgendwo in ihm, davon war er überzeugt, gab es einen Raum, der unter dem Gehen mit der Zeit ganz leer und still wurde. Oft dauerte es Stunden, bis all das Hin und Her des sinnlosen Denkens schwieg und diese Stille spürbar wurde, und wenn es dann geschah, so war es jedesmal wie ein großes unverhofftes Geschenk, das man auf keinen Fall antasten durfte, um es nicht auf der Stelle zu zerstören. Mitunter war es ihm dann so vorgekommen, als habe er bisher noch gar nicht wirklich gewußt wer er sei und stehe nun kurz davor, es zu erfahren.

Draußen fiel noch immer der feine, zögernde Sommerregen, der ihn schon seit der Rückfahrt am Vormittag begleitet hatte. Gabriel klappte den Jackenkragen hoch und trat vor die Tür. Die Luft war von einem metallischen Grau, als sei die Welt nur eine schlechte Fotografie.

Wie bei seiner Rückkehr stand Koblers Kombiwagen in der Ausfahrt, und Gebriel mußte nach links auf die matschige Wiese ausweichen, um daran vorbeizukommen. Durch die schlammbespritzten Scheiben konnte er im hinteren Teil des Wagens das Drahtgitter erkennen, mit dem Kobler den Bereich abgetrennt hatte, in dem er seine beiden Kampfhunde transportierte; die Tiere hatten den dicken Teppichboden in der Box total zerfetzt, und er war sicher, dass er wußte, was in diesem Fall Aufgabe des Staates gewesen wäre. Eigentlich waren die Kampfhunde das erste, was er bei seinem Einzug auf dem Talheimer Aussiedlerhof vor einem Vierteljahr von seinem Vermieter zu sehen bekommen hatte, denn Kobler besass zumindest in diesem Punkt ein Fünkchen Humor und hatte zwei Fotos der Tiere unter eine Plastikfolie geklebt und auf einer Blechtafel vorn am Zaun befestigt. Auf der Tafel stand in schwarzer Ölfarbe der Satz:

BRECHEN SIE RUHIG BEI UNS EIN
WENN SIE HANSI UND JUPP
EINEN TOLLEN TAG MACHEN WOLLEN!

Gabriel war weit davon entfernt, sich durch die Anwesenheit der Hunde im Haus sicherer zu fühlen. Heute schien Kobler mit den Viechern irgendwo unterwegs zu sein, denn auf dem Hof war es vollkommen still.

Als es vom Talheimer Kirchturm vier Uhr schlug, war Franz bereits auf dem Weg zur Rems hinunter und konnte die Schnellstraße auf der anderen Seite des Flusses sehen, die hier Teil der Schwäbischen Weinstraße war. Der Regen hatte aufgehört, und er ging durch die Unterführung zum Bahnhof. Es roch entlang der gekachelten Wände nach Urin. Als er die Treppe hinaufstieg, sah er zuerst die rot flackernde Leuchtreklame des Gasthofes Zum Ochsen, vor dem einige Jugendliche mit ihren Skateboards standen, die rauchten und Rum-Cola aus Blechdosen tranken.

Es kam ihm plötzlich sinnlos vor, dass er hier herumlief. Dann ging er zum Kiosk neben dem Dönerstand hinüber und kaufte eine Literflasche Riesling, für die er sich eine Plastiktüte geben ließ, und die Zeitung vom Tage. Während er die Zeitung und die Flasche verstaute, musste er daran denken, dass jetzt im Juni die Infektionsrate niedrig war und ihn niemand anranzte, wenn er keine Maske trug.

Er stellte die Tüte auf dem Tresen des Dönerstandes ab und liess sich einen Kaffee einschenken. Das blasse Mädchen mit dem Kopftuch, das neben einem kleinen, dicken Mann, der den Drehspiess beaufsichtigte, am Stand bediente, legte ihm unaufgefordert zwei eingewickelte Zuckerstücke neben die Tasse und setzte sich dann wieder, um in einer Illustrierten zu lesen.

Der Satz vom Band Ich würde unter anderem gern den Woyzeck mit Ihnen besetzen, fiel ihm ein. Ja, das klang gut. Es konnte ein neuer Anfang sein. Woyzeck, das passte außerdem. Und nicht nur, weil er ihn in Weimar ja bereits gespielt hatte.

2

Er rief noch am späteren Nachmittag in Stuttgart an und hatte damit die Zeit gar nicht schlecht gewählt. Theater sind keine Behörden, die um 16 Uhr Feierabend machen. Unter der Nummer, die der Intendant auf seiner Mailbox hinterlassen hatte, meldete sich zwar nicht der Technische Direktor, sondern die Dramaturgin, die wegen der laufenden Vorstellungen Abenddienst hatte, aber das war eigentlich ein Vorteil, denn Gabriel erinnerte sich gut an diese junge Frau, die während seines Vorsprechens schweigend dabei gesessen hatte. Es war sie gewesen, die er gewissermaßen für sich ausgesucht hatte, um für sein Spiel in dem hellen, kalten Probenraum ein Gegenüber zu haben.

»Kommen Sie doch einfach morgen gegen Zehn«, sagte sie, »ich weiß nicht, ob Kovsky dann schon Ihren Vertrag fertig hat, aber Sie können sicher das Haus ansehen und sich mit allen bekanntmachen.«

Gabriel hatte den Wein ins Eisfach gelegt, und als er das erste Glas trank, wählte er wie unter einem Zwang die Hamburger Nummern. Doch es meldete sich nur Kirrhofs Stimme auf dem Anrufbeantworter, die ihm versprach, sofort zurück zu rufen, falls er seine Nummer hinterlassen wollte.

In der Nacht erwachte er vom Bellen der Hunde im Erdgeschoß, ging zur Toilette und erinnerte sich dabei, während er unter dem kalten Neonlicht stand und urinierte, an einen Traum.

Er stand in einen weiten Raum gelangt, der keine Wände zu haben schien. Alles um ihn her war von einem dunstigen Weiß. Aus der Entfernung, bevor er den Raum noch ganz betreten hatte, sah er bereits, dass seine kleine Tochter darin erhängt worden war. Sie hing an einem Haken nackt von der Decke herab, die er im Dunst nicht ausmachen konnte. Um ihren Hals war eine rote Plastikwäscheleine geschlungen, die hinter dem Kopf straff in die Höhe führte und dann in dem alles ausfüllenden Weiß undeutlich wurde und verschwand. Das Kind pendelte leicht hin und her, hielt die Augen geöffnet und sah ihn an. Er ging auf sie zu, kam dabei an einer dunklen Gestalt vorüber, die mit einer Art Apparatur hantierte, links von ihm, vor seiner erhängten Tochter, und er wusste, dass er jetzt mit dem Waschen des Kindes beginnen musste. Er war hier, um sie zu waschen, und er dachte, dass sie vielleicht gar nicht tot sei, dass man sie nur zum Waschen so aufgehängt habe. Die rote Wäscheleine schnitt nicht in ihren Hals ein, und sie schien zu leben, denn sie blickte ihn aus weiten Augen an. Er dachte, dass ihr das Aufgehängtsein sicher sehr unangenehm sein müsse, und er wollte ihr deshalb die Zeit verkürzen, indem er die Waschungen besonders schnell durchführte. Er hielt jetzt auch ein Stück Seife in Händen und begann mit der Arbeit. Ihre Haut war kalt und nicht nass genug. Die Seife schäumte nicht. Links von ihm stand immer noch die dunkle Gestalt, er sah sie aus den Augenwinkeln. Er begriff, dass er seine Tochter nur sehr unvollkommen würde waschen können. Es war nicht genug Wasser vorhanden. Dann dachte er kurz daran, daß es doch möglich sein müsse, sie zuerst vom Strick zu nehmen, um ihr diese gewiß unbequeme Haltung zu ersparen, während er sie wusch. Doch verwarf er diesen Gedanken wieder. Eine solche Handlung schien nicht in seiner Macht zu liegen. Auf der rechten Seite erblickte er nun ein Spülbecken. Er ging schnell hinüber, öffnete den Hahn und versuchte Wasser zu schöpfen, indem er seine Hände zu einer Schale formte. Er lief schnell zwischen dem Waschbecken und seiner erhängten Tochter hin und her, um sie mit dem so gesammelten Wasser zu benetzen, doch verblieben ihm jeweils nur wenige Tropfen, wenn er bei ihr anlangte. Das reichte nicht, und er begriff, daß er seine Aufgabe niemals erfüllen konnte. In vollkommenem Schweigen blickte sein Tochter ihn an.

Er lag schon wieder im Bett, als ihm einfiel, daß die schattenhafte Gestalt, die ihm während seine erfolglosen Bemühungen zugesehen hatte, wohl Kirrhof gewesen sein mußte. Kirrhof war seit der frühen Kindheit sein Freund gewesen. Eigentlich hatte er lange Zeit hindurch geglaubt, daß Gunter Kirrhof der einzige Freund sein, den er hatte. Kaum zu glauben, dachte er, wovon man ersetzt wird, während er wieder einschlief.

3

Er stand seit der Autobahnabfahrt im Stau und näherte sich der Stuttgarter Innenstadt nur im Schritttempo. Es störte ihn nicht. Er hatte in den vergangenen Jahren so oft auf etwas gewartet und war so häufig enttäuscht worden, daß er sich nicht einmal Sorgen darüber machte, daß er zu spät kommen könne. Man kam immer zu spät. 

Über die Vorderseite eines runden Turmes flackerten Leuchtschriften von Reisebüros und Versicherungsgesellschaften, zwischen denen die aktuellen Werte der morgendlichen Smogbelastung eingeblendet wurden. Dann kam eine Reisewerbung, die einen Besuch in Würzburg anprieß. Am Wochenende zuvor war Lenz in Ochsenfurt gewesen, südlich von Würzburg, um  sich dort ein paar Euro auf einem literarischen Lesefest zu verdienen, und natürlich hatte er der Versuchung nicht widerstehen können, schon am Freitag nach Nürnberg zu fahren, in der Hoffnung, dort vielleicht seine Tochter zu sehen. Beide Aktionen waren recht unergiebig verlaufen, aber was tut man nicht alles, hatte er gedacht, wenn die einzige Alternative darin besteht, die Wände anzustarren und langsam verrückt zu werden.

Der Auftritt auf dem Lesefest verdankte sich wohl ebenso wie das bevorstehende Engagement in Stuttgart dem Umstand, dass sich die Kulturszene nach zwei Jahren Corona-Stillstand, in denen überflüssige Kulturschaffende wie er vom Arbeitslosengeld hatten leben müssen, wieder zu beleben begann. 

Ochsenfurt war eine mittelalterlich anmutende Kleinstadt, in Unterfranken, durch die sich träge der Main schob. Umsäumt von einer turmbewehrten Stadtmauer, warb der Ort mit einem gotischen Rathaus und malerischen Fachwerkhäuschen; Gabriel Lenz hatte sich auf dem Kopfsteinpflaster die Hacken krumgelaufen. 

Erstaunlicherweise residierte im Ort sogar ein Literaturverlag, der ihn zu seinem Lesefest eingeladen hatte, aber die Lesungen waren nur mässig besucht, und Lenz war mit seinem etwas bemühten Scherz, dass im Jahre 1193, da Richard Löwenherz, als Gefangener des Herzogs Leopold von Österreich nach Ochsenfurt gebracht worden war, sicher mehr Volk zusammengelaufen sei, nicht gut angekommen. Er hatte nur verständnisloses Anstarren geerntet und war für den Rest des Tages das Gefühl nicht mehr losgeworden, er hätte sich wie Richard Löwenherz besser mit einem Lösegeld freigekauft und die Heimreise angetreten. 

Es war eines seiner Lebensprobleme, dass er meist zu schnell und spontan reagierte und auch dort den Mund aufmachte, wo es niemand von ihm verlangte. Mein Gott, dachte er, seit wieviel Jahrhunderten mögen die Ochsenfurter nicht mehr an Richard Löwenherz gedacht haben, wenn überhaupt jemals, und dann komme ich, der kurz davor einmal auf die Webseite des Fremdenverkehrsvereins geschaut hat, um nicht völlig unvorbereitet zu sein, und erzähle ihnen ihre Stadtgeschichte. Das musste ja schiefgehen.

Als er am Freitag in Nürnberg …. Hinter ihm wurde wütend gehupt, denn die Ampel hatte längst umgeschaltet. Er fuhr links an diesem Turm vorbei und erreichte eine Viertelstunde später den Bahnhof. Jetzt ging es schneller, und er kannte sich auch schon wieder etwas aus.

Als er endlich beim Theater ankam, fand er keinen Parkplatz und stellte den Wagen in einer Seitenstraße auf dem Bürgersteig ab. Es war so warm, dass er ohne Jacke aus dem Wagen stieg und die Hemdsärmel aufkrempelte. Während er die leicht ansteigende Straße zum Theater hinaufging und zu schwitzen begann, fiel ihm der vergangene Winter ein, in dem er mit Nora auf der zugefrorenen Alster Schlittschuh gelaufen war. Das Licht im Straßeneinschnitt war so hell, als lösten sich die Häuserfronten vom zweiten Stockwerk an auf. Das helle Weiß irritierte den Blick.

Er konnte sich nur ungenau an das Theater erinnern. Am Tag des Vorsprechens war er wohl zu aufgeregt dafür gewesen, aber es kam ihm jetzt in einem hellen Gelb entgegen. Die weit geschwungene Vorderfront lag im Licht und ließ die Jugendstil Ornamente der fast runden Fassade wie eine Phantasie in den frühen Großstadthimmel steigen; er erkannte es sofort.

Rechts von ihm überfiel ihn ein Bäckerei mit dem Geruch frischer Brötchen, und er erinnerte sich daran, daß er ohne zu frühstücken aufgebrochen war, aber das war nun nicht mehr nachzuholen.

….