Worüber man noch sprechen kann, …
Dienstag, 3. Oktober 2023, bei Erich Wolfgang Korngold: Die tote Stadt, Dirigent Fritz Lehmann, in einer Aufnahme von 1952
Gestern schrieb mir ein Freund: „Was ich nicht verstehe, ist, weshalb Du – dessen Erzähldrang doch so groß ist – nicht wie ich das Netz nutzt, über das Du Dir zumindest Deine öffentliche Präsenz sichern kannst und bei dem Du eben in keiner Weise abhängig von jemandem anderes bist. Bau Dir, meinetwegen ebenfalls bei WordPress, eine zusätzliche Webpräsenz nur für eigene literarische Texte auf verlinke sie mit Deiner „normalen“ Site, so daß es sich hin- und herwechseln läßt, und stell dann immer mal einen neuen Auszug ein – nie den kompletten Text, klar, damit Dir nicht gesagt werden kann, es sei ja alles schon öffentlich, aber so, daß Du die Neugier von Leserinnen und Lesern anfütterst. Du hast bereits einige Follower, dann setze sie doch für Deine Texte in Bewegung, gib ihnen was. Stell auch immer wieder Auszüge aus Deinen bisherigen Büchern ein, bau so Dein Autorenprofil neu auf, sprich Texte selbst, nimm sie auf, stell auch diese Tonaufnahmen ein. Sei einfach hartnäckig, das weist auch den Krebs in die Schranken (i c h darf das schreiben, wohl wissend, daß es auch bei mir jederzeit wieder losgehen k a n n, siehe heutiges Arbeitsjournal) und erlöst Dich schon seelisch aus dem Opfer“status“, wie immer es mit den Tumoren nun ausgeht. Als Autor hast Du k e i n e n Krebs, als Autor bist du autark und zeigst das. Nicht zuletzt Dir selbst.“
Das hat mich umgetrieben. Ich hatte ihm zugegeben: „Leider hat mich dieses Jahr mit Krankheit (auch der von J., damit fing es sogar an!) derartig kleingeschlagen, dass ich meine bisherige Webseite gar nicht mehr bedient habe, letzter BLOG-Eintrag Anfang Juni. Und auf Facebook ist alles gelöscht, bis auf meinen Grabstein, den die FB-Hippies auch noch alle für schön halten und liken. Meine Webadressen sind beim Provider gekündigt, laufen wegen der Kündigungsfrist aber noch bis Mitte Dezember. Man könnte sagen, dass ich im Grunde schon aufgegeben habe. Dazu auch Abos gekündigt, von Zeitschriften, Mitgliedschaften aufgelöst, Veranstaltungen abgesagt etc. Ich weiß, Du würdest sowas nie tun. Mir fehlte aber die Kraft, um anders zu handeln. Ist leider die Wahrheit.“
Und er, hartnäckig: „Dann reiß das Ruder jetzt herum, gib Dir den Ruck. WordPress kostet nichts, ich würde aus Der Dschungel sofort drauf verlinken und auch einen Beitrag schreiben. Wenn die Site dann schon so viel Text hat, daß sie etwas aussagt, schreibe ich auch gern für Faustkultur drüber, das brächte ich schon durch. Nur müßte dann schon mal, sagen wir, zwei Monate lang was passiert sein. So hättest Du neben dem ganzen medizinischen Untersuchungsscheiß ein Ziel und könntest Dir, was ich für extrem wichtig halte, eine literarische Routine aufbauen, durchaus mit festen Tageszeiten für diese Arbeit. Du mußt aus diesem Opfersein raus, das Du allerdings auch zum poetischen Thema machen könntest mit Dir selbst als, sozusagen, Romanfigur. Okay, sowas ist teilweise m e i n Weg, aber einer, der sich bislang als ziemlich tragfähig erwiesen hat – bis hin zu text+kritik, was ja eigentlich eine Unmöglichkeit gewesen wäre bei jemandem, der so weggeschwiegen wird wie ich. Das einzige, was Du wirklich brauchst, was unbedingt vonnöten ist, ist die Überzeugung, daß Deine Arbeit wichtig ist, und zwar nicht nur für Dich selbst. Hast Du sie, mußt Du ihr „nur“ folgen. (Das „nur“ steht berechtigt in Anführungszeichen, aber hier gilt Achternbusch: Du hast keine Chance, also nutze sie.) Du wirst es schaffen, ich habe keinen Zweifel, Peter. Es ist immer „nur“ der erste Ruck – der es selbstverständlich in sich hat. Ich weiß.“
In der Nacht, gegen fünf: Ein Traum führte mich durch das Erdgeschoss des Hauses zur Eingangstür – interessanterweise kann ich im Traum immer ganz normal gehen, keine Krücke wird herumgeschleppt -, die ich öffnete und sah, dass irgendetwas, vielleicht ein Sturm, die linke Glasverkleidung des Windfangs zerschlagen hatte. Der Vorplatz der Tür lag voll mit großen, massiven Glasscherben, sodass man weder eintreten noch hinausgehen konnte. Na toll, hat noch gefehlt, dachte ich im Traum, während mir eine schwache, gewissermaßen durchscheinende Erinnerung kam, dass das gleiche Unglück zuvor auch bereits mit der rechten Glaswand des Windfangs passiert war. Dann erwachte ich.
5:25 auf der Handy-Uhr: Noch im Halbschlaf, während ich mir das Kissen zurechtboxte, begriff ich, dass es gar keinen Windfang vor der Haustür gibt, nie gegeben hatte, schon gar keinen aus Glas. Die Scherben vor der Eingangstür, die der Traum mir gezeigt hatte, was waren sie? Ich löste das Problem in diesem Moment nicht mehr, schlief stattdessen wieder ein. Aber jetzt denke ich, es war eine Metapher – immerhin war es ja der Traum eines Schriftstellers, also warum nicht Metaphern träumen. Aber das ändert natürlich nichts daran, dass ich gewisse Hindernisse vor meiner Eingangstür werde real wegräumen müssen.
Korngolds Träume: Auch in Korngolds Oper stellt sich das Geschehen (nach dem 1. Akt) ja am Ende als Traum heraus, doch auch wenn er dadurch glücklicherweise erkennen kann, vor einem Mord bewahrt worden zu sein, so muss er die tote Stadt, in der er die Kirche des Gewesenen bewohnt, verlassen, um weiterleben zu können.
Ja, so weit vielleicht mal, das war es, was ich erzählen wollte, frei nach Ludwig Wittgensteins berühmten Satz: „Worüber man noch sprechen kann, davon darf man nicht schweigen.“
Bleiben Sie glücklich
wünscht Ihnen PHG