Fragen, irgendwo im Leben
Mittwoch, 14. Dezember 2022, bei „The Freeway“ von Alessandro Galati, John Patitucci & Peter Erskine
Eisregen plus Schnee seit acht Uhr am Morgen; ein Wetter bei dem ich mir mal wieder die notorisch unsinnige Frage gestellt habe, was eigentlich die Vögel oder andere Tiere machen, um sich vor dem Wetter zu schützen. Vermutlich ist es der dumme Gedanke eines Hausbesitzers, der sich gar nicht mehr vorstellen kann, wie es in einem gegebenen Moment außerhalb seiner komfortablen vier Wände aussehen mag. Dabei gäbe es ja wahrlich genug Gründe, sich damit zu befassen. Nicht nur hinsichtlich der Vögel, meine ich, denn auf die komme ich nur, weil ich sie in unserem Garten sehe. Wie wäre es mit den Obdachlosen oder mit den Kriegsopfern, denen ein russischer Faschist mit Raketen das Dach über dem Kopf weggesprengt hat?
Das muss irgendwann vor etwa 12.000 Jahren angefangen haben, als die Menschen die ersten Städte bauen, in deren Mauern sie sich hinfort vor den immer noch frei herumziehenden Jägern und Sammlern zu schützen versuchten, zu denen sie eben noch selbst gehört hatten, und die jetzt zu marodierenden Streunern und Plünderern wurden; denn warum sollte man selbst mühsam Getreide und andere Feldfrüchte sammeln, wenn man doch weiß, dass hinter diesen Mauern die Vorräte für die kommenden Wintermonate gehortet worden sind. Das sind Verhältnisse, die wiederkommen werden; in anderen Teilen der Welt waren sie nie verschwunden. Das Plündern ist unsere Jagd, sagten die sogenannten Barbaren. Sie werden wiederkommen.
Entschuldigen Sie, wenn Sie den Eindruck haben, dass meine Denkwege mal wieder über Stock und Stein stolpern. Im Grunde bin ich einfach frei im Kopf, also wie immer ohne festes Thema, und wenn doch mit einem, dann nur recht ungefähr. So bewegte mich heute, was einem alles zur Frage werden kann. Ich hatte Anlass darüber nachzudenken, als ich in den vergangenen Tagen das Werkstattgespräch zu meinem neuen Buch »Morgen ist ein anderer Tag« führte, das inzwischen erschienen ist.
Ich wurde zum Beispiel gefragt, warum die Figuren in meinen Geschichten immer wieder mit ihrer Vergangenheit befasst seien. Gesagt hab ich es nicht, aber mir kam diese Frage derart absurd vor, dass ich den Eindruck bekam, der Frager sei vielleicht der auf der ganzen Welt bisher vergeblich gesuchte vollkommen erleuchtete ZEN-Meister, der ausschließlich in der zwei bis fünf Sekunden dauernden Gegenwart des berühmten Hier und Jetzt lebt. Aber es ist wohl weit eher ein Symptom unserer bis zur Bewusstlosigkeit geschichtsvergessenen Gegenwartskultur, in der jeder die Tür zur Vergangenheit so schnell hinter sich zuzuschmeißen versucht, dass es einer gesellschaftlichen Zwangshandlung gleich kommt.
Alzheimer ist halt nicht nur eine individuelle Erkrankung, die biologisch verursacht ist und das Bewusstsein der einzelnen Person löchrig werden lässt. Es ist ein gesamtgesellschaftlich Vorgang, deren Krankheitswert noch gar nicht ausreichend verstanden worden ist. Wenn man die Vergangenheit mal wegrechnet, die ja wahrhaftig das Einzige ist, was unsere Identität ausmacht, dann wären wir gänzlich unbeschriebene Blätter, die orientierungslos durch die Welt taumeln, hin und her geweht von den Winden, die uns aus dem großen schwarzen Rachen der Zukunft um die Ohren wehen. In diesem Zustand kann man dann zwar noch Party machen, doch ist das der Sinn der ganzen Sache?
Tja, das war so eine der Fragen, der ich mich in dem Werkstattgespräch gestellt habe. Es gibt noch mehr, Lustiges auch. Der Erzählband „Morgen ist ein anderer Tag“ hat übrigens unvermutet, zumindest für mich, das Interesse von Übersetzern geweckt. Die darin enthaltenen Erzählungen „Die Frau am Fenster“ und „Til Stranden“ sind bereits ins Italienische übersetzt und veröffentlicht, die Story „Regenzeit in Cusco“ hat ihren Weg in brasilianische Portugiesisch gemacht ist in Brasilien gedruckt worden. Und nun habe ich die Übersetzer-Anfragen für drei weitere der Geschichten vorliegen – für „Das ferne Land“, „Das Meer bin ich“ und „Lebensweisen mancher Leute“. Das finde ich enorm.
Ansonsten hoffen wir darauf, dass die Dinge besser werden, der Mörder im Kreml an seiner Bosheit ersticken möge und alle anderen Menschen glücklich bleiben,
was ich auch von Ihnen erhoffe
Ihr PHG