Literatur

Das Würgen der Worte in der Kehle und ‚die Waffen einer Frau‘

Samstag, 19. März 2022, bei Giuseppe Verdis ‚Messa da Requiem‘, unter Daniel Barenboim und den Berliner Philharmonikern, mit Susanne Bernhard, Sopran, Marina Prudenskaja, Mezzosopran, Michael Spyres, Tenor, Tareq Nazmi, Bass, sowie dem Rundfunkchor Berlin

Ein Kollege, der seit dem Beginn des perfiden Angriffskrieges Putins gegen die Ukraine täglich über die Ereignisse in seinem häufig gelesenen BLOG berichtet, sagte vor Tagen zu mir, als ich ihn fragte, woher er die Kraft dazu nähme, er lasse seine Tränen Sprache werden. Das finde ich sehr zu bewundern, abgesehen davon, dass es natürlich auch nötig ist. Ich weiß, dass er meist den ganzen Tag damit verbringt und abends richtiggehend „erschöpft“ ist. Was er dabei unterschlägt, unterschlagen muss, ist der Umstand, dass er ja nicht auf die Welt gekommen ist, um einen täglichen Ukraine-Kriegs-BLOG zu schreiben. Oder, um es anders zu sagen, dass er natürlich das, was seine eigentliche Aufgabe als Autor wäre, nicht tun kann, nicht schreiben kann; egal ob das nun die Arbeit an Gedichten, an einer Geschichte oder an einem neuen Roman wäre. Selbstverständlich würde er das tausendmal lieber tun. Aber das hat für ihn jetzt zu schweigen.

So geht es mir natürlich ebenfalls, und da ich keinen täglichen Ukraine-BLOG schreibe, so schweigt es in mir halt. Nicht, dass ich es nicht immer wieder versuche. Ich bin hartnäckig, nehme mir täglich aufs Neue einen Text vor, bemühe mich, ihn ein wenig weiter zu entwickeln, bringe auch in der Regel zehn, zwanzig Zeilen zustande, mühsam und von nicht zu beurteilender Qualität, aber dann ist es aus. Ich könnte es ebenso wegwerfen, löschen, es der völligen Bedeutungslosigkeit überantworten, die ich empfinde. Vor diesem Gefühl schützt sich mein Kollege möglicherweise durch den BLOG.

Mir ist, als habe der Krieg den Schriftsteller in mir erschlagen, besser gesagt erwürgt, sodass mir die Worte nicht mehr in die Kehle finden, ich verstummen muss. Dass ich ein Schriftsteller bin, kann ich gegenwärtig nicht mehr sagen. Und ich beginne, angesichts meiner erfolglosen Bemühungen, Tag für Tag, zu ahnen, dass ich wohl auch nie mehr dahin zurückfinden werde, einer zu sein. Um nicht gar nichts zu tun, habe ich heute damit begonnen, alle meine irgendwo verstreuten Gedicht zu suchen und in einem Ordner zu sammeln. Die Gedichte sind von mir immer stiefmütterlich behandelt worden, mitunter habe ich sie aus der handschriftlichen Fassung, in der sie sich in irgendwelchen Notizheften finden, nicht mal in den Computer übertragen. Andere sind irgendwo veröffentlicht, in Zeitschriften, Anthologien usw., wieder andere sind im Internet veröffentlicht oder in Leitz-Ordnern gesammelt, als seien es Einkaufslisten. Das alles will ich zusammenführen. Es ist eine rein mechanische Tätigkeit, eines verstummten Bibliothekars angemessen, der den Staub und die Reste zusammenkehrt.

(c) Karl-Heinz Stufft-Fischer: mirror images 218 ‚Arjuna understands‘*

Besonders ekelhaft wird diese Situation, weil gegenwärtig immer mehr Stimmen, auch unter Autoren-Kollegen, weiblichen leider nicht ausgeschlossen, für den Krieg plädieren – entschuldigen Sie das leider viel zu schwache Verb -, denn in Wirklichkeit S C H R E I E N sie, der Präsident des PEN wähnt uns gar längst im 3. Weltkrieg. Er zitiert den unkrainischen Autor Serhij Zhadan so: „Dies ist kein lokaler Konflikt, der morgen zu Ende sein wir. Dies ist der dritte Weltkrieg. Und die zivilisierte Welt hat kein Recht, diesen zu verlieren, wenn sie sich für zivilisiert und unabhängig hält.“ Und der Präsident des deutschen PEN kommentiert: „Ihr mögt das anders sehen, aber für mich ist das so.“ Und dann schiebt er Vergleiche mit dem Spanischen Bürgerkrieg nach.

Man bedenke, der PEN ist eine Menschenrechtsorganisation, die sich für verfolgte Autorinnen und Autoren einsetzt, für die Freiheit des Wortes und realer Menschen kämpft, oft genug Leben zu retten versucht. Und nun haben wir einen Präsidenten, der offen für den Krieg eintritt. Er ist dafür von fünf früheren Präsidenten und Präsidentinnen schriftlich zum Rücktritt aufgefordert worden. Diesen Rücktritt hat er abgelehnt.

Aber es sind längst nicht nur Männer, die auf solch, wie ich finde, leichtfertige Weise vom Krieg schwadronieren. Eine Lyrikerin, die ich sehr schätze, postet plötzlich das Gemälde einer Frau mit Gewehr in den Händen, eine, wie sie betont, „mild dreinsehende Frau“ (vermutlich ist ihr das Gewehr zu einer Art Kind geworden, sodass sie „mild“ darauf blickt) und erzählt, dass sie mit diesem Bild schon lange lebe. Es werde viel zu wenig erwähnt, wie zäh … die Frauen sind, die zu den Waffen greifen und kämpfen. Da ihr wohl bewusst ist, dass sie damit auf Kritik stoßen wird, nennt sie diese Kritik in ihrem Post vorsorglich unterminierendes Gemäkel am „Heroenkult“. Es gäbe viel Gerede von den „Waffen einer Frau“ – ihr freier Wille ist und bleibt ihre stärkste, schreibt sie. Will wohl sagen, aus freiem Willen zur Waffe zu greifen und in den Krieg zu ziehen.

Ich habe mit ihr darüber zu diskutieren versucht und hätte ihre Aussagen plus dem auslösenden Bild gern hier im BLOG veröffentlicht, wofür ich sie schriftlich um Erlaubnis ersucht habe, denn ich halte den Vorgang für sehr wichtig und wollte ihn so nachprüfbar wie möglich dokumentieren. Leider hat sie mir dann nicht mehr geantwortet.

Nun gut, soll es so sein. Das allseits stärker werdende Kriegsgeschrei in den Ohren beende ich diese Zeilen und hoffe für Sie,

dass Sie glücklich bleiben
Ihr PHG

PS: Das Triptychon ‚Mirror Images 218 – Arjuna understands‘ schuf der Maler Karl-Heinz Stufft-Fischer nach meinem Beitrag „Die Entwertung“ vom 11. März 2022. Ja, Arjuna hatte tatsächlich verstanden. All die, die sich den Krieg wünschen, verstehen gar nichts, absolut gar nichts. Gäbe die Göttin, dass der Tag, an dem sie das bitter bereuen werden, niemals kommt. Die Welt hätte nicht genug Wasser für ihre Tränen.

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker