Die Entwertung
Freitag, 11. März 2022, bei keiner Musik
Gibt es Menschen, deren Tun unter allen Umständen einen Sinn hat und behält? Mir ist das schwer vorstellbar. Natürlich stelle ich die Frage vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine, und gerade da wird man mir sagen, dass etwa Soldaten, die ihr Land verteidigen, oder Krankenschwestern, die Kranken, Verletzten etc. helfen, natürlich eine sinnvolle Arbeit tun. Mag sein. Aber eben nur, wenn man die Voraussetzung, den Ausgangspunkt als solchen akzeptiert und sich darauf einstellt. Also, wenn da jemand kommt, um mir den Schädel einzuschlagen, dann ist es wohl sinnvoll, dass ich mich hinreichend instandsetze, um nun meinerseits ihm den Schädel einzuschlagen. Wenn man das Schädeleinschlagen, das ich hier mal der einfachen Verständlichkeit halber an Stelle aller wie auch immer gearteten Tötungsarten setze, aber, wie ich, grundsätzlich nicht sinnvoll findet, dann blickt man gerade hier in einen Abgrund der Sinnlosigkeit.
Und ich rede natürlich, wie Sie mich kennen, von kulturell etwas höher stehenden Tätigkeiten der Spezies Homo Sapiens, etwa der der Kunstproduktion. Da mag es jeder Kollege, jede Kollegin halten wie er/sie mag, aber für mich ist es offensichtlich, dass Putins krimineller Krieg in der Ukraine (und das, was aus ihm noch werden kann) absolut alles entwertet, wofür ich mein ganzes Leben hindurch mit meinem Schreiben gestanden habe. Und damit entwertet er auch mein Leben.
„Jetzt bin ich zum Tod geworden, der Zertrümmerer der Welten.“ – heißt es in der „Bhagavad Gita“, der heiligen Schrift des Hinduismus. Das kann Putin nun für sich beanspruchen.
Meiner Liebsten geht es ebenso. Wir unterhielten uns am Nachmittag darüber, und sie sagte, sie habe sich immer gefragt, warum Stefan Zweig, nachdem ihm doch die Flucht vor den Nazis gelungen sei, er Zuflucht in Brasilien gefunden hatte und dort sogar schreiben konnte und durfte, sich umgebracht habe. So auch Klaus Mann, der in Sanary-sur-Mer der unmittelbaren Bedrohung entkommen war. Ich denke, sie trifft hier einen ganz entscheidenden Punkt. Zweig und Klaus Mann standen, nachdem sie entkommen waren, vor der Erkenntnis der völligen Entwertung ihres Lebens angesichts der Ungeheuerlichkeiten, die Nazi-Deutschland entfesselt hatte. Danach irgendwie weiter zu machen, es muss ihnen geradezu absurd vorgekommen sein.
Feuchtwanger etwa und Brecht haben es getan, haben es geschafft, aber es nicht zu schaffen, das erscheint mir fast naheliegender. Sicher, auch in unseren Tagen veröffentlichen die Autoren ungebrochen weiter irgendwelche Hundekrimis, Bärlauch-Krimis usw., ohne zu merken wie absurd das ist. Aber davon rede ich nicht.
Interessant ist, wie lange nach dem Krieg das weltweite Gefühl des Absurden anhielt. Erinnert sich noch jemand, dass nach 1945 das Theater des Absurden aus der Taufe gehoben wurde und Autoren wie Samuel Beckett und Eugène Ionesco weltberühmt wurden? Das hatten sich diese Autoren aber nicht einfach ausgedacht, das war eine Folge des völligen Sinnverlustes durch den 2. Weltkrieg und den Holocaust, durch das millionenfache Morden. Und um zur deutschsprachigen Literatur zu kommen, sollte man daran zurückdenken, dass auch Autoren wie Max Frisch, Dürrenmatt, Wolfgang Hildesheimer, Thomas Bernhard und George Tabori dazugehörten. Es wird alles sinnlos, sagt Thomas Bernhard, wenn man an den Tod denkt. Und wer daran dieser Tag nicht denkt, der ist vermutlich noch gar nicht wach.
Lassen Sie uns gemeinsam hoffen, dass der Tod, der einmal Adolf Hitlers Gesicht hatte und nun die versteinerte Fratze von Wladimir Wladimirowitsch Putin, dem sogenannten Freund Gerhard Schröders, zeigt, nicht mehr so arg lange unter uns lebt. Früher habe ich mitunter den absurden Wunsch geäußert, dass ich noch so lange leben möchte, bis die Menschen auf dem Mars landen. Darauf verzichte ich, wenn mir stattdessen erlaubt sein sollte, noch so lange zu leben, dass Putins Tod durch die Nachrichten geht.
Bleiben Sie glücklich
wünscht Ihr PHG