Ein faszinierendes Spiel mit Identitäten
zu Alban Nikolai Herbsts Novelle „Isabella Maria Vergana“
von Peter H. E. Gogolin
Bitte begehen Sie jetzt keinen Irrtum. So
wirklich meine Erinnerungen an damals
sind und so wenig ich sie als meine eigenen
leugnen kann, so sicher ist, ich kann mich nur
wiederholen, daß ich, Alban Nikolai Herbst,
niemals in Venezuela gewesen bin.
Wenn ein Autor konsequent sein eigenes Leben fiktionalisiert, wenn ihm dabei noch das scheinbar Alltäglichste zur Literatur wird, dann kommt unweigerlich der Moment, in dem ihm diese Fiktionen auch im täglich realen Leben begegnen müssen.
Alban Nikolai Herbst, Autor und Ich-Erzähler der hinreißenden erotischen Novelle „Isabella Maria Vergana“, passiert genau das.
Er trifft die titelgebende Hauptfigur seiner Novelle in Linz, am Rande eines Autorentreffens, nachdem er gewissermaßen durch den trunkenen Gott Dionysos in die Anderswelt geführt worden ist. Die Begegnung mit der Sängerin Vergana, von der ihm schrittweise bewusst wird, dass er sie lange schon kennt, dass er sie erstmals gar in ihrer Kindheit traf, auf einer Südamerikareise, von der er aber mit ebensolcher Gewissheit sagen kann, dass er diese Reise niemals gemacht hat, ist wie das drohende Eintauchen in die dunkle Rückseite der eigenen Existenz.
Dass der Erzähler vor dieser Begegnung zu fliehen versucht, ist ebenso dringend wie die Tatsache, dass er sich wieder magisch von ihr angezogen fühlt. Er lässt sich in ihren Bann ziehen, bis ihm klar wird, dass sie ihm seit Jahren mit einer Art Besessenheit folgt und von ihm die Erfüllung eines Versprechens einfordert, das er gemacht hat und doch zugleich niemals gemacht haben kann.
Wie einen ‚Tulku‘, ein Geistwesen des tibetischen Buddhismus, das allerdings in Gestalt der ‚Vergana‘ nur allzu körperlich in sein Leben tritt, hat der Autor Herbst, der doch eigentlich „nichts anderes tun will, als seine Geschichten erzählen“, hier eine Gestalt geschaffen, die ihn nicht mehr entkommen lassen will. Dass er ihr am Ende doch entkommen ist, behauptet die Novelle zwar, doch dem Leser will scheinen, als müsse das erst die Zukunft erweisen.
Alban Nikolai Herbsts Novelle „Isabella Maria Vergana“ ist eine Geschichte, die der vermeintlichen Sicherheit der eigenen Identität den Boden unter den Füßen wegzieht und den Leser im wahrsten Sinne des Wortes mit der Rimbaudschen Erkenntnis konfrontiert „Ich ist ein anderer.“ Wer aber ist Alban Nikolai Herbst?
Ein Buch für all diejenigen Leser, die einen Blick hinter die wechselnden Masken der sogenannten Realität nicht fürchten.