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„… lasst mich euch erzählen, wie es gewesen ist.“

The world is a dirty job.
(Nina Simone)

Jetzt bin ich der Tod geworden,
der Zerstörer der Welt.
(Bhagavad Gita)
Donnerstag, 16. September 2021, bei Donizettis Oper ‚Alahor in Granata‘

Vor knapp über einem Jahr, zu Augustbeginn 2020, muss mich wohl der Teufel geritten haben, denn ich veröffentlichte auf Facebook den folgenden Post:

Könntet Ihr Euch vorstellen, einen Roman über HITLER zu lesen? Keine Parodie oder Witzbuch. Nicht das tausendste Sachbuch. Einen realistischen historischen Roman, der die Person Hitler ernst nimmt, mit allem, was man über ihn inzwischen weiß. Einen Roman, der ihn als Hauptfigur hat. Würdet Ihr das lesen? Und was würdet Ihr erwarten? Oder denkt Ihr, das geht gar nicht? Gründe? Und spielt es eine Rolle, wenn der Autor Deutscher ist?

Der Post war das etwa tausendste Zwischen-Ergebnis meiner seit dem Jahr 2019 andauernden Überlegungen, Planungen, Rundreisen, Tauchgänge und Ausgrabungen auf dem Weg zu einem möglichen Roman. Wobei ich anfügen muss, dass ich mich in meinem jetzt über 50 Jahre andauernden Autorenleben mit wenig anderem befasst habe, als dem 2. Weltkrieg, dem deutschen sowie italienischen Faschismus und der Frage nach der Verantwortung Deutschlands angesichts der ‚Vernichtung der europäischen Juden‘. Wer mal etwas von mir gelesen hat, der muss das eigentlich wissen.

In über 50 Publikationen incl. Theater und Film habe ich davon gehandelt. Nur meine Erzählbände „Isoldes Liebhaber“ und „Lebensweisen mancher Leute“, das Theaterstück „Das Geheimnis des Alten Waldes“ und mein Brasilienroman „Der Mann, der den Regen fotografierte“ befassen sich nicht mit dem Faschismus. Von unzähligen journalistischen Arbeiten zu diesem Thema ganz abgesehen. Ich bin eine wandelnde Faschismus-Bibliothek, und wenn das etwas bedeutet, so zumindest, dass ich bezüglich des Themas keinesfalls unwissend und naiv bin.

Die Art und Weise, in der dann auf Facebook auf mich eingeschlagen wurde, überraschte und entsetzte mich aber doch. Ich will den Wortlaut so mancher Beschimpfung und Unterstellung hier nicht wiederholen, es war zumindest schlimm genug, sodass ich meinen Post auf Facebook am zweiten Tag löschte. Jetzt, ein Jahr später, will ich zusammenfassend nochmals darauf eingehen, denn das, was mich im vorigen Jahr beleidigte, erscheint mir heute, wenn auch in Grenzen, lehrreich.

Die vier Kategorien der Verleugnung

1. Ich will die Antworten, die ich auf meine Frage erhielt, grob in vier Kategorien einteilen. Wobei die erste Kategorie gewissermaßen eine l e e r e Kategorie ist. Will sagen, von den knapp über hundert Antworten, deren man mich würdigte, bevor ich selbst den Beitrag löschte, war keine einzige dabei, die dem Sinn nach sagte: Das wäre für mich interessant. Das gab es noch nicht. Da gibt es Dinge, die ich noch nicht weiß. Das hat bisher gefehlt. Oder gar, – was man doch angesichts des ständigen Anwachsens rechter Tendenzen in der deutschen und europäischen Politik hätte erwarten können, – ja, Faschismus ist wieder ein bedrohliches, aktuelles Thema. Nichts, gar nichts in dieser Art. Obwohl doch genau das in jeder Hinsicht zutraf. Man hätte denken können, der Fragesteller und die Antwortenden lebten auf ganz verschiedenen Planeten.

2. Mengenmäßig stand die zweite Kategorie ganz im Vordergrund. Ich nannte sie für mich die Kategorie „Ekelhaft“. Man hätte auch „Pfui“ sagen können. Die Leute teilten mir mit, dass sie mein Ansinnen widerlich fänden. Solch ein Buch würden sie auf keinen Fall auch nur anfassen. Es sei ekelhaft, unverantwortlich, gewissenlos, dass ich eine solche Schreibabsicht auch nur erwogen habe. Moralisch vollständig verwerflich. Damit werde man sich nicht beschmutzen. Mir wurde sogar klar gemacht, dass ich lieber über Kinderschänder schreiben sollte. Das Ausmaß an Abwehr dieser Art war ungeheuerlich. Sigmund Freud hätte seine Freude daran gehabt.

3. Ich habe auf keinen dieser Anwürfe geantwortet, da es mir vollkommen sinnlos schien. Es waren Aussagen, die mir argumentativ gänzlich unerreichbar vorkamen. Anders verhielt es sich bei den Antworten der Kategorie drei. Ich nannte sie für mich nach einem Sketch der britischen Komikertruppe Monty Python die „Ham wa alles schon gehappt“ Kategorie. Mir wurde also mitgeteilt, dass das doch völlig überflüssig sei. Das wisse man doch alles längst. Das sei alles bis zum Erbrechen bekannt. Es gäbe einfach kein Bedarf für ein Buch über Hitler. Alles ewig schon tausendfach durchgekaut, langweilig usw. Bei Antworten dieser Kategorie habe ich leider immer wieder sinnlos Zeit und Kraft vergeudet, um zu argumentieren. Ich habe nach Einzelheiten gefragt, wollte wissen, ob sie dies und jenes wirklich wüssten. Hab auf biografische und politische Details hingewiesen. Aber es war vergebliche Liebesmüh. Entweder trat bei denen, die angeblich längst alles wussten, sofort Schweigen ein, oder sie wiederholten einfach weiter die Litanei des ‚wissen wir alles schon‘. Es gab niemanden beim Thema Hitler, dem auch nur der Verdacht gekommen wäre, da könne vielleicht noch irgendwas existieren, was ein Erkenntnisinteresse wert sei.

4. Die vierte Kategorie klingt auf den ersten Blick harmlos, war für mich aber die schlimmste und führte zu meinem Entschluss meinen Facebook-Post zu löschen. Sie lautete: Über Hitler ist alles bekannt und gesagt, und es ist nicht einzusehen, was ausgerechnet ein Roman dazu noch sinnvoll beitragen könnte.

Diese Behauptung richtete sich ausdrücklich gegen meine Absicht einen Roman zu schreiben. Nun war das ja gerade mein Punkt, denn ich bin der Meinung, dass nur ein Roman das kann, was alle anderen Formen der Darstellung verpassen müssen. Und wer z.B. die historischen Romane von Lion Feuchtwanger oder die Novellen und literarischen Biografien Stefan Zweigs kennt, wird meiner Ansicht nach sofort begreifen, was ich meine. Man könnte zwar sagen, wer liest denn noch Feuchtwanger? Also mit der Unkenntnis der literarischen Tradition argumentieren. Das hätte ich auch sofort getan, zumal dieser Vorwurf nur ein einziges Mal erhoben wurde. Ich hätte also als unerheblich darüber hinweg gehen können. Leider aber kam dieser Anwurf ausgerechnet von der Präsidentin des deutschen PEN Zentrums. Die Vorsitzende der weltgrößten Autorenorganisation PEN, dessen Aufgabe es ist, politisch verfolgten Autorinnen und Autoren Hilfe zu leisten, sie im Exil zu unterstützen und die Freiheit des Wortes zu verteidigen, ausgerechnet diese Präsidentin hält einen Roman nicht für in der Lage zu diesem Thema sinnvoll etwas beizutragen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ich habe noch Wochen danach überlegt, ob ich meine Mitgliedschaft im PEN nicht niederlegen sollte.

Für mich ist das eine Situation, die sich bereits durch mein ganzes Autorenleben hindurch wiederholt. Als ich 1981 meinen ersten Roman „Seelenlähmung“ veröffentlicht, der prompt ein Erfolg war und den Hamburger Literaturförderpreis erhielt, wurde das Buch u.a. vom Autor und Verleger Michael Krüger rezensiert, der meine darin stattfindende Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus ablehnte und mir beschied, um darüber etwas auszusagen, sei ich einfach zu jung. Gleichzeitig schlug er den Roman für den Aspekte Literaturpreis vor, für den besten deutschsprachigen Roman-Erstling des Jahres 1981. So ambivalent kann es also zugehen. Und bei späteren Büchern fielen die Reaktionen nicht besser aus.

Ich fasse zusammen: Ich kann mir also präzise vorstellen, was mir geschehen wird, wenn ich als deutscher Autor über diesen Stoff schreiben werde. Das unsagbare Thema aus den Abgründen der deutschen Psyche, das keiner haben will, wird – da man mich literarisch nicht abqualifizieren kann und mir historische Fehler hoffentlich nicht unterlaufen werden – einfach totgeschwiegen werden. Gut, das akzeptiere ich schon jetzt. Aber das Buch wird da sein. Und wenn ihr euch die Ohren mit Pech verschließt – ich werde euch erzählen, wie es gewesen ist.

Ansonsten wünscht wie üblich
Bleiben Sie glücklich, Ihr PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker