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Von Nudelsorten, Schwarzen Löchern, Schnäpsen und der Vergeblichkeit

Mittwoch, 29. Jan. 2020, bei Arvoles von Avishai Cohen

Hin und wieder wechsele ich meinen Desktop-Hintergrund, einfach, weil mein Gehirn es ermüdend findet, immer das Gleiche anschauen zu müssen. Es reicht ja wahrhaftig, dass man morgens im Spiegel ständig sich selbst sehen muss. Seit einigen Tagen habe ich mir dafür die künstlerische Darstellung eines Schwarzen Loches ausgesucht, wie man es sich im Mittelpunkt unserer Milchstraße vorstellen muss.

Heute nun wurde mir klar, dass das natürlich auch ein Sinnbild für meine Arbeit ist. So wie das Schwerkraft-Monster Sonnen, Planeten und ganze Sternensysteme verschlingt, so verschwindet auch die Arbeit meines Lebens, die vergangene, gegenwärtige und zukünftige, vorausgesetzt die Projekte, die da so sichtbar auf meinem Schreibtisch liegen, werden je in das Entwicklungsstadium eines veröffentlichten Buches eintreten.

Und dann musste ich lachen, weil mir einfiel, dass es keine Schwarzen Löcher, ob nun im Raum oder in der Zeit, braucht, um dies zu erreichen. Die menschliche Ignoranz und vor allem die allgemeine Dummheit genügen völlig.

Das kam so: Wir hatten Besuch von einem Theatermenschen, der meiner Liebsten einen Stückauftrag gegeben hatte. Es soll in dem Stück um den spanischen Autor Cervantes gehen, der u.a. den Roman „Don Quijote“ geschrieben hat, die Geschichte des Ritters von der traurigen Gestalt, mit dem die moderne europäische Literatur recht eigentlich beginnt. Jahre zuvor hatte sie ihm zwei andere Stücke geschrieben. Zuerst eines über Paganini, den Teufelsgeiger, danach über den Maler Caravaggio. Mit Don Quijote von la Mancha wollte er nun seine Stücke über Künstlerbiografien zu einer Trilogie runden.

Während des Tages erzählte er dann, dass er, um zu testen, wie seine Theater-Stammgäste die neue Idee aufnehmen würden, herumgefragt habe. Dabei habe er dann die Auskunft erhalten, dass die Leute Paganini für eine italienische Nudelsorte gehalten hätten. „Weischt“, sagte er, „so Pappardelle, Paganini, Rigatone“. Als er dann das Stück über Caravaggio angekündigt habe, da sei in der Stadt gewitzelt worden, das jetzt wohl die Pizza käme. Naja, und „Don Quijote“ wäre dann vermutlich die Nachspeise. „Das ist schon ganz schön deprimierend“, sagte er.

Wir lachten naturgemäß, aber ich konnte es ihm nachfühlen, hatte ich doch mit dem Titel meines Romans „Calvinos Hotel“ ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Viele Leser begriffen gar nicht, dass hier jemand Calvino hieß und Besitzer eines Hotels war, das s am Namensende also einen Genetiv anzeigte. Und schon gar nicht dachte irgendjemand in all den Jahren, die es den Roman nun gibt, an den Autor Italo Calvino, einen der wichtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts überhaupt. Man sprach den Namen mit Betonung auf einem scharfen s am Ende aus. Und von Calvinos war es dann nur noch einen geistigen Kurzschluss bis zum Apfel-Schnaps Calvados, den natürlich keiner, der so weit ‚gedacht‘ hatte, ausließ.

Tja, all das auch erlebt. Was soll man da sagen? Besser gar nichts, es ist eh alles vergeblich. Aber in Schwarze Löcher könnte ich mich verlieben, sie fressen am Ende alles, das Universum und den ganzen menschlichen Scheiß sowieso. Nachteil, es dauert halt sehr, sehr lange.

Bleiben Sie glücklich
bis dahin, wünscht
Ihr PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker