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Welch ein ‚Himmlischer Frieden‘

Dienstag, 4. Juni 2019, bei mancher Trauermusik u.a. Mozart

Im April vor 30 Jahren, also 1989, begann mit Studentendemonstrationen der kurze chinesische Frühling der Demokratie. Daraus wurde in knapp sieben Wochen die größte friedliche Freiheitsbewegung des 20. Jahrhunderts, die den herrschenden Kommunisten jedoch so viel Angst machte, dass sie in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni Panzer rollen ließen und auf die eigene Bevölkerung schossen. Genaue Opfer-Zahlen sind auch 30 Jahre danach nicht bekannt, aber man muss wohl von über 10.000 Toten ausgehen. Die Angehörigen der damals Beteiligten werden, so sie nicht aus China fliehen konnten, noch heute verfolgt und drangsaliert.

Ich lebte das ganze Jahr 1989 in Rom und führte zwei Wochen vor dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz, dem Platz des Himmlischen Friedens, ein Interview mit der damals in Rocca di Papa bei Rom lebenden Autorin Luise Rinser. Da ich ihre Reisetagebücher kannte, wusste ich, dass sie in Nordkorea und China gereist und dort auch von den Staatspräsidenten empfangen worden war. Ihr Bekanntheitsgrad war enorm und ist für heutige Schriftsteller kaum noch vorstellbar; was freilich auch gut so ist.

Luise Rinser u. Kim Il Sung

Im Verlauf des Interviews kam ich so auf die aktuellen Ereignisse in China zu sprechen, gab meinen Befürchtungen Ausdruck und fragte Luise Rinser nach ihrer Meinung dazu. Wie wird das ausgehen? Wird sich die Bevölkerung demokratische Grundrechte erkämpfen? Oder wird die Regierung sie alle einsperren und verschwinden lassen?

Luise Rinsers Antwort erschütterte mich zutiefst. Sie sagte nämlich ohne zu zögern: „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe bereits ein Telegramm an Deng Xiaoping geschickt und ihm geraten, dass er einen Dialog mit den Demonstranten beginnen soll. Es wird alles gut ausgehen.“

Das verschlug mir die Sprache. Ich weiß nicht mehr, ob ich überhaupt etwas darauf geantwortet habe, aber ihre Selbstgewissheit war so groß, dass es auch egal gewesen wäre, wenn ich es versucht hätte. Ich wusste zudem, dass sie als junge Frau auch einen Huldigungsbrief aus Anlass des „Führergeburtstages“ an Adolf Hitler geschrieben hatte, und ich nahm mir vor, sie im Verlauf des Interviews danach zu fragen. Später während des Tages tat ich das auch, doch davon ließ sie sich nicht verunsichern. „Ach, das ist schon so lange her“, sagte sie, „was soll man heute dazu sagen, das war damals halt so üblich.“

Ja, was soll man heute dazu sagen? Tatsache ist wohl, dass sie schon immer den Kontakt zu Machthabern gesucht hatte. Und ihre Wahl war dabei auf sehr bezeichnende Figuren gefallen, von Hitler über Kim Il Sung und Kim Jong-il zu Deng Xiaoping. Das ist schwer zu verstehen, für mich zumindest. Aber ich denke heute, die einfältige Überheblichkeit derer, die glaubten und glauben Einfluss auf den oder die Herrschenden zu haben, zieht sich durch die Geschichte, belegt aber von den griechischen Philosophen bis zu Heideggers hinterwäldlerischem Versuch sich den Nazis zu empfehlen nur die Anfälligkeit und Verführbarkeit der eigentlich Machtlosen angesichts der Macht. Oder um es etwas einfacher auszudrücken: Nichts ist geiler als die Macht. So hat Luise Rinser immer versucht, den Wolf zu umarmen, um es mit dem Titel ihres Erinnerungsbuches zu sagen.

Ich dagegen halte es mit Vlado Kristl und seinem Wunsch: Hoffentlich fällt die Macht eines Tages allen Menschen auf den Wecker.

Heute etwas unglücklich
nach 30 Jahren, Ihr PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker