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Das langsame Verschwinden … und Mozart gegen Regenwetter

Dienstag, 21. Mai 2019, bei Mozarts ‚La finta Giardiniera‘ unter Sylvain Cambreling

Graues, windiges, kaltes Regenwetter. Das Laub der Bäume vor meinem Fenster tobt um die Stämme, als seien sie auf der Flucht. Ich habe die Heizung hochgedreht; das Heizen scheint Ende Mai in unseren Breiten mittlerweile obligat zu sein.

Eigentlich müsste sich um diese Zeit ein Physiotherapeut um meine gelähmten Gliedmaßen bemühen. Ich stand schon an der Tür, um ihn einzulassen, als das Telefon ging und er sich entschuldigte, dass er ’so kurzfristig‘ absagen müsse. Sehr ärgerlich. Er kommt einmal die Woche und sagt selbst, dass ich die Therapie, damit sie anschlägt, dreimal täglich haben müsste. So sitze ich hier, in Ermangelung der Therapie, und schreibe. Was Besseres fällt dem Schriftsteller-Idioten ja in der Regel nicht ein. Aber egal, ich habe zumindest Mozart gegen das Regenwetter.

(c) Peter H. Gogolin

Vor einigen Tagen sah ich im TV einen Film über Australische Ureinwohner, ein Stammesältester erzählte die Geschichte der Wanderung seines Volkes über den Kontinent. Am Ende seiner Erzählung sagte er: Am Tag meines Todes wird ein leichter Wind aufkommen und meine Spuren und die meines Volkes auslöschen.

Genau so wird es sein, dachte ich, selbst dann, wenn man seinen Namen in Stein gemeißelt hat. Ich hatte gerade die Fotos unserer Polenreise vom Sommer 2018 durchgesehen und war dabei auch auf die Bilder einer Mauer auf einem jüdischen Friedhof gestoßen, die ganz aus den Bruchstücken alter Grabsteine errichtet war, die die deutschen Faschisten in ihrem mörderischen Wahn zerschlagen hatten, um selbst noch die Erinnerung an die Toten zu vernichten.

Die Mauer ist ein notwendiges trotziges NEIN zu solch einem Vandalismus. Aber ich wusste doch, dass der australische Ureinwohner Recht hat. Es reicht ein leichter Wind, um unsere Spuren zu verwehen. Und es gibt Stunden, zu denen ich sicher bin, dass es ein Glück ist, dass dem so ist.

Was mich selbst betrifft, so braucht es kaum einen solchen Wind; es reicht das Vergehen der Zeit. Ich habe mich zudem entschlossen, für den Rest des Jahres nichts mehr zu veröffentlichen und auch die möglichen Abschlussarbeiten an den fertigen oder fast fertigen Manuskripten liegenzulassen. Erst nach dem bevorstehenden Umzug im kommenden Herbst und wenn ich zudem weiß, wie weit ich körperlich eventuell wieder hergestellt sein werde, will ich mit literarischen Arbeiten neu beginnen. Jetzt hat das keinen Sinn. Mein Leben fühlt sich für mich an, als sei es ein krauser Haufen aus zerschlagenen Teilen, und ich habe nicht die Kraft, aus diesen Trümmern auch nur eine kleine Mauer zu bauen (außerdem: gegen was?). So betrachtete ich wohl das langsame Verschwinden des Autors im Alter. Nun, sei es so.

So lange es Mozart gegen der Regen gibt, bleibe ich glücklich.
Bleiben Sie es auch, wünscht Ihnen PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker