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Wir sind halt komische Leut‘

Dienstag, 11. Sept. 2018, bei Franz Schmidts Symphonie Nr. 4 C-Dur unter Kirill Petrenko

Am Morgen saß ich schon früh, – noch im Bademantel und bei offener Tür, um den Spätsommer einzulassen -, trank mein übliches Glas Wasser und las in unseren Ausgaben von Ovids „Metamorphosen“. Die Unterschiede in verschiedenen Übersetzungen zu vergleichen, das ist schon eine höchst spannende Sache. Übersetzt etwa Erich Rösch den Moment, in dem Orpheus, nachdem er sich verbotenerweise umgesehen hat, die Geliebte Eurydice erneut verliert, mit den Worten:

Orpheus erstarrte bei diesem erneuten Tode der Gattin

So heißt es bei Hermann Breitenbach:

Orpheus steht wie betäubt ob dem doppelten Mord an der Gattin

Nun wären da ja wahrhaftig zwei ganz verschiedene Geschichten zu erzählen, wenn das ‚Non aliter stupuit gemina nece coniugis Orpheus‘ des Ovid so zu übersetzen wäre. Aber gut, das wollte ich gar nicht erzählen. Nur, dass ich derart beschäftigt war, als endlich auch die Liebste aufstand und zu mir ins Zimmer kam.

Ich erzählte ihr dann die ganze Geschichte vom Sänger Orpheus und seiner geliebten Eurydice, von der man ja, wenn überhaupt, meist nur den ersten Teil kennt, also den Gang in die Unterwelt, den Orpheus im 10. Buch von Ovids ‚Verwandlungen‘ antritt, seine Bitte, Eurydice wieder ins Leben zurückkehren zu lassen, sowie den erneuten Verlust der Geliebten, durch seine Tölpelei, da er gegen das einzige Verbot verstieß, das Hades ihm als Bedingung auferlegt hatte. Der zweite Teil der Geschichte steht ja erst im 11. Buch, in dem Orpheus von den rasenden Maenaden gesteinigt und zerrissen wird. Über den Grund sei hier vorerst geschwiegen.

Gustave Moreau: Trakische Frau, den Kopf des Orpheus auf seiner Leier tragend.

Entscheidend ist dann, dass seine auf den Wassern schwimmende Leyer und sein Haupt, immer noch singend, davontreiben, bis sie die Insel Lesbos erreichen, wo Orpheus endlich selbst zu den Schatten gehen kann, unter die Erde taucht und Eurydicen wiederfindet.

Findet Eurydicen und umschlingt sie mit sehnenden Armen.
Bald lustwandeln sie dort vereinten Schrittes zusammen,
Bald folgt er ihr nach, geht bald voran, und es blickt nun
Ohne Gefahr zurück nach seiner Eurydice Orpheus.

Das ist das Happy-End. Das hätte es auch bezüglich des Themas für die Liebste und mich an diesem Morgen sein können, hätte sie nicht gefragt, warum genau Ovid eigentlich nach Tomis am Schwarzen Meer verbannt worden ist, wo er dann zehn Jahre später bitter leidend im Exil starb.

Ich wusste es nicht genau, sodass unser Gespräch sich fortsetzte. Wir klärten die Frage dann, so weit sie überhaupt zu klären ist, beim Frühstück. Dafür trug hauptsächlich die Liebste selbst aus der Sekundärliteratur die Situation während der Regentschaft des Augustus vor, von dem Ovid im Jahre 8 n.Chr. ins Exil geschickt worden war. Am Ende saßen wir vor abgegessenen Tellern, die Teekanne längst leer, in der Küche, die Bücher um uns und wussten nun auch von den vermutlichen Machenschaften der Julia. Zudem von den Zitaten, die Gottfried Benn in sein Gedicht „Orpheus‘ Tod“ eingeflochten hat.

Wir beendeten dann leider unser Gespräch, denn die Liebste musste an den Computer, um die handschriftlichen Korrekturen aus ihrem Manuskript „Der Mond ist ein Licht in der Nacht“ zu übernehmen.

Tja, was soll man dazu sagen? Wir sind halt komische Leut‘.

Bleiben Sie glücklich
wünscht Ihnen
Ihr PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker