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Tief hängt das Dach des Septembers

2. September 2018, bei grauem Himmel, Wind und Tommaso Traettas „Antigona“

Eine Freundin schrieb mir, dass sie die Lektüre meines BLOGs vermisse. Tatsächlich habe ich im vergangenen August lediglich vier Beiträge verfasst; am 6., 12., 13., und 15. August.

Und nun ist schon September

Und nun ist schon September, was mich etwas erschreckt. Was macht das Jahr nur mit mir?
Ich bin, um ehrlich zu sein, etwas erschöpft, was, abgesehen von den verschiedenen Reisen, vor allem daran liegt, dass ich in der ersten Hälfte des Jahres zwei Romane für den Druck fertiggemacht habe, dazu eine über 100seitige Novelle, eine Erzählung noch obendrauf, sowie den Anfang eines weiteren Romans, mit dem ich gegenwärtig im Schneckentempo weitermache. Wohin das in diesem Jahr führen kann, weiß ich nicht, dabei liegt der Kalender 2019 bereits vor mir auf dem Tisch.

Weiterer Rückzug als Gegenbewegung

Ich weiß aber auch gar nicht, ob ich solch eine Präsenz im Internet, wie sie etwa mit einem ständigen BLOG zu erreichen wäre, eigentlich noch will. Neulich telefonierte ich mit einer sehr aktiven Kollegin, die seit einiger Zeit mit viel Energie dabei ist, eine eigene Plattform im Internet auf- und auszubauen. Ich erzählte ihr, dass ich, um mich auf meine eigentliche Arbeit zu konzentrieren, vor Monaten bereits Plattformen wie XING und Facebook verlassen habe. Sie meinte einerseits, dass sie das verstehen könne. Andererseits aber beschwor sie mich geradezu, diesen Rückzug rückgängig zu machen.

Da gibt es Leute, sagte sie, die warten auf neue Bücher von dir. Aber wie schön wäre es, wenn die nicht nur in der kurzen Zeit, in der ein Buch erscheint und am Markt ist, etwas von dir bekommen, sondern auch möglichst in der ganzen Zeit dazwischen, wäre das nicht toll?

Ja und nein, dachte ich, denn jeder Verkäufer von irgendwas würde das sofort unterschreiben und es „Kundenbindung“ nennen. Aber für mich würde es zwangsläufig den Schwerpunkt meiner Arbeit von der Arbeit selbst (dem Schreiben also) auf die Außendarstellung dieser Arbeit verschieben. Das kann nicht wünschenswert sein. Und schlimmer noch ist dabei, dass dies auch eine Veränderung des Bewusstseins mit sich bringen würde. Ich würde zwangsläufig anders über meine jeweilige Arbeit denken, sie anders fühlen, wenn ich sie während des Prozesses der Entstehung gewissermaßen der flüchtigen Wahrnehmung der künftigen Leser immer wieder einprägen müsste. Das will ich nicht. Also folgt für mich daraus eigentlich ein noch weiterer Rückzug. Quasi eine bewusst gewählte Gegenbewegung zur allgemeinen Tendenz der Zeit, die so zwingend wirkt, in einer Zeit, in der sich die Menschen mit ihren Kühlschränken zu unterhalten beginnen.

Abstieg in die Erdgeschichte

Ich werde vermutlich zu einer Art von prähistorischem Relikt werden, wie es die Liebste mir von ihrer Reise nach Sylt mitgebracht hat. Schauen Sie sich diese wunderbare  Versteinerung einer Pflanze mal an, die vor 570 Millionen Jahren gelebt hat. Vielleicht bedeutet es Ihnen nichts. Mir hingegen wollen vor Ergriffenheit die Tränen kommen.

Kelch: Prähistorische Pflanze, vermutlich fleischfressend, 570 Millionen Jahre alt

Wenn man an das Leben auf dem Planeten Erde eine zeitliche Skala anlegen würde, dann erscheint der Mensch erst in der letzten Minute. Und ebenso verhält es sich mit unserer gesamten Zivilisation, deren Entwicklung sich gegenwärtig gerade wieder so wahnsinnig beschleunigt. Wäre die gesamte Existenz des Menschen in 100 Minuten abbildbar, dann erschiene das, was wir seit dem Beginn des Ackerbaus und dem Bau der ersten Städte als unsere Zivilisation betrachten, erneut in der letzten Minute.

Und da soll ich möglichst täglich einen neuen BLOG posten? Oder wie mein Freund LS alle zehn bis fünfzehn Minuten einen Post auf Facebook? Mir scheint dies an Wahnsinn zu grenzen.

Fast alle meine Kollegen, besonders die jüngeren, betrachten das Internet und die sozialen Medien als Maschine zur Erzeugung von Aufmerksamkeit (für ihre jeweiligen Produkte natürlich). Mir will scheinen, dass es vielmehr eine Maschine zur VERNICHTUNG von Aufmerksamkeit ist. Und darüber hinaus natürlich ein Instrument zur sozialen Kontrolle im Rahmen der neuen Machttechniken des Neoliberalismus.

Also, liebe Freundin, ich glaube, dass Du Dich auch weiterhin mit seltenen Wortmeldungen in meinem BLOG wirst zufriedengeben müssen. Hoffentlich bleibst Du trotzdem glücklich,
wünscht sich
PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker