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Zu Ezra Pounds CANTOS

Mittwoch, 15. August 2018, (ehemals: Dienstag, 
03.11.2015, bei Verdis Don Carlos unter Haitink)

Begann heute mit einer Übersetzung der Poundschen Cantos. In den ersten zwei Stunden dieses Arbeitstages habe ich nun, bevor ich wieder in die letzten 100 Seiten Korrekturen des Regenromans einsteige, die ersten 10 Verse übersetzt, was zwar nicht viel ist aber eine Freude war. Es gibt keine Verszeile, die ich nicht anders setze als Eva Hesse.

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Nun, Eva Hesse, die große alte Dame – inzwischen über 90 Jahre alt – die den Deutschen Ezra Pound überhaupt erst nahegebracht hat, und ohne die ich Pounds Cantos vermutlich gar nicht kennen würde, wofür ich sie sehr verehre, ist letztlich auch der Grund, weshalb ich mich an dieser Neuübersetzung versuche. Sie hat im Grunde als Übersetzerin, Herausgeberin und Essayistin der Person Pound und seinem Werk ihr Leben gewidmet. Im Geleitwort zur ersten deutsch-englischen Gesamtübersetzung von 2011 spricht sie von einem halben Jahrhundert der Arbeit an den Cantos. Das gilt für den Autor ebenso wie für seine Übersetzerin. Meine frühesten von ihr übersetzten Poundausgaben tragen Copyrightvermerke von 1956. Und selbstverständlich war Eva Hesse für mich in Sachen Pound immer die oberste Instanz, jahrzehntelang.

Das begann sich erstmals etwas zu ändern, als ich mich ab Mitte der 19070er Jahre mit Pounds Antisemitismus befasste und den Eindruck bekam, dass Eva Hesse dazu recht wenig zu sagen hatte. Gegen Ende der 1970er war ich dann auf einer Recherchenreise zu einem Stück über die Geschwister Lamb in London und konnte mich bei Foyles an der Charing Cross Road auch mit der ganzen englischsprachigen Literatur zum Thema »The trial of Ezra Pound« eindecken. Es war erstaunlich, was es da alles gab. Noch bis heute hat davon kaum etwas den Weg in die deutsche Sprache gefunden. Jahrzehnte danach, als ich tief in der Arbeit am dritten Teil meiner Deutschland-Trilogie »Calvinos Hotel« saß, brauchte ich Pound für das Buch und nahm Kontakt zu einigen Universitäten in den USA auf, die sich mit Pound und seinem Nachlass beschäftigten.

Das hat mir vor allem beim Auffinden von einigen Alt-Italienischen Stellen in den Cantos entscheidend weitergeholfen. Solche und andere fremdsprachliche Textstellen sind in der Übersetzung von Eva Hesse nicht mitübersetzt worden, was auch angemessen ist, denn sie stehen ja so auch bei Pound, was zumindest heißt, dass Pound gar nicht wollte, dass der Gesamttext vollständig verständlich ist. Die Mehrsprachichkeit der Cantos ist Prinzip. Ich überlege deshalb zur Zeit, ob ich es ebenfalls so belassen oder aber zum besseren Verständnis trotzdem übersetzen soll, zumindest in einem begleitenden Anhang.

Ich muss gestehen, dass ich die Entscheidung, bei der Übersetzung z.B. die italienischen Textpartien nicht zu übersetzen, nicht sinnvoll und vor allem nicht konsequent finde. Schließlich gibt es auch einige wenige Cantos im Gesamtwerk, die von Pound vollständig italienisch verfasst wurden, und die hat Eva Hesse ja ebenfalls ins Deutsche übertragen. Wenn ich mich gegen ihre Lösung entscheide, so werde ich dann den fremdsprachlichen Originaltext als Fußnote oder im Anmerkungsapparat beifügen. Aber das ist noch nicht heraus.

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Während all der Jahre meiner Beschäftigung mit Pound, lesend und schreibend, habe ich aber niemals die absolute Verbindlichkeit der Hesseschen Übertragung angezweifelt. Das änderte sich erst, als zu Beginn des gegenwärtigen Jahrzehnts die erste vollständige Gesamtübersetzung als zweisprachige Ausgabe erschien. Seither kann ich nicht mehr anders, als Eva Hesses Text ständig mit Pounds Original zu vergleichen; und die Zweifel werden immer größer.
Ich habe also heute damit begonnen. Es wird eine Arbeit werden, mit der ich sicher bis zu meinem Lebensende beschäftigt sein werde. Und dies, obwohl ich mir in einem ersten Schritt zunächst nur die Gesänge I bis XXX vorgesetzt habe, also das, was Pound »A Draft of XXX Cantos« nennt.

Selbstverständlich weiß ich, dass niemanden meine Übersetzungen jemals interessieren werden. Ich habe nicht einmal vor, sie irgendeinem Verlag anzubieten. Warum mache ich es dann? Nun, einfach für mich. Und für Pound und seine Cantos natürlich, also für die Literatur an sich, wie immer, wenn ich schreibe, für nichts sonst.

Ich werde meine jeweiligen Lösungen von Zeit zu Zeit hier auf der Webseite einstellen und dann auch immer mal wieder beispielhaft offenlegen, was und aus welchem Grund bei mir anders aussieht als bei Eva Hesse.

PS: Vielleicht, fällt mir gerade ein, tue ich es auch ein wenig für meinen ältesten Sohn. Ich hatte ihn damals auf die Recherchenreise nach London mitgenommen. Vor kurzem hat er mir geschrieben, dass er seine letzten Bücher – es müssen ein paar Tausend gewesen sein, die alle von mir stammten – weggeworfen hat. Die Pounds von Foyles waren darunter. Er brauche in seinem Leben keine Bücher mehr, falls doch hin und wieder, dann reiche dafür sein Kindle. Als ich daraufhin wütend wurde, teilte er mir mit, dass er mich sowieso für einen Verrückten halte, der seine Psychose in Büchern auslebe (wörtlich). Und er hat Recht, so was tun nur Verrückte, aber in der Welt, die er für normal hält, will ich nicht leben.

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker