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Rückzug aus der digitalen Welt

Sonntag, 12. August 2018, bei ‚Minimal Piano Collection Vol. IV‘ (John Adams, Arvo Pärt, Simeon ten Holt e.a.), mit Jeroen van Veen am Piano

Lange schon überfällig

Im späten Frühjahr beschloss ich, weil ich mich selbst zu verlieren begann, mich wieder den Dingen zuzuwenden, also mehr auf meine Wahrnehmung der Welt zu achten, das Sehen und Hören neu einzuüben, in der realen Welt aufmerksam zu sein und die Türen der digitalen – das schien mir eine zwangsläufige Folge – so weit als möglich zu schließen. Wenn das zum Verlust von Menschen führen sollte, die nur oder ganz hauptsächlich in der digitalen Welt existieren, so würde das so sein müssen, sagte ich mir. 

Heute weiß ich, dass das lange schon überfällig war. Ich habe nun seit Monaten meinen Facebook-Account gelöscht, dazu auch alle Fan-Seiten für meine Romane, die ich dort eingerichtet hatte und sowieso nicht regelmäßig aktualisieren konnte. Ebenso ist mein Instagram-Account gelöscht, sowie mein XING-Profil, mit dem vor etwa zehn oder elf Jahren meine Teilhabe am digitalen Leben begann, nachdem mich eine meiner Schülerinnen dorthin eingeladen hatte.

Gewohnheitstier

Da der Mensch ein Gewohnheitstier ist und sich nur schwer an veränderte Situationen gewöhnt – wie lange greift man nicht noch nach einem Lichtschalter, den es nach der Renovierung nicht mehr gibt – so hatte ich mich auf gewisse Entzugserscheinungen gefasst gemacht, die dann auch einsetzen, aber zum Glück schnell nachließen. Schon lange verspüre ich den Impuls, mich irgendwo einzuloggen nicht mehr. Es interessiert mich nicht mehr, ob mich jemand geliked hat oder nicht, möchte nicht mehr wissen, wie viele Follower ich habe usw.

Ach ja, das darf nicht vergessen werden: Zu dieser digitalen Enthaltsamkeit gehört auch, dass ich den ‚Konsum‘ der meisten Webseiten und BLOGs stark reduziert habe, die ich zuvor aus Informationsgründen regelmäßig glaubte besuchen zu müssen. Und siehe da, ich muss gar nicht. Mir ist freilich sehr bewusst, dass das im Umkehrschluss auch auf die BesucherInnen meiner Seite bzw. meines BLOGs zutreffen könnte. Wenn dem so wäre, dann fände ich dagegen nichts einzuwenden, es wäre absolut okay. Aber ich glaube, es ist eher so, dass sich an der Besucherzahl auf meinen BLOGseiten wenig ändern wird. Als ich vor mittlerweile über zwanzig Jahren beschloss, Vegetarier zu werden, da hat ja auch der Rest der Welt nicht von einem Tag zum anderen das Steak in den Mülleimer geworfen.

Pläne für die kommenden Wochen

Und was soll werden mit der ganzen Zeit, die ich jetzt nicht mehr im Internet verplempere? Diese Zeit gibt es tatsächlich, ich merke es deutlich. Allein schon der Umstand, dass ich nun ablenkungsfrei schreiben kann, sprich: ohne während des Schreibens immer mal schnell wieder auf Facebook nachschauen zu müssen, ob dort irgendein sogenannter ‚Freund‘ etwas in die Welt gepupst hat, ist ungeheuer förderlich für meine Arbeit.

Für die nächsten zwei, drei Wochen, also bis zum Ende des Augusts, habe ich mir vor allem zwei Ziele gesetzt. Erstens will ich mit der Recherche für mein neues Romanprojekt „Der Junge hinter der Tür“ fertig werden, wozu auch ein Besuch im Polizeipräsidium Westhessen gehören wird. Ich hatte im Frühjahr bereits in dieses Buch hineingeschrieben und dabei knapp 50 erste Textseiten produziert, die ich dann liegen ließ, um die Neufassung von „Calvinos Hotel“ und die Schlussbearbeitung von „Nichts weißt du, mein Bruder, von der Nacht“ fertigzustellen. Beide Bücher sind jetzt in den langsam mahlenden Mühlen der Verlage sicher aufgehoben und werden bis zum Herbst gewiss erscheinen, sodass ich mich wieder dem Jungen hinter der Tür zuwenden kann. Also, bis Monatsende die Recherchen abschließen, danach weiter in der Textarbeit.

Ja, und zweitens will ich vor allem die Abende mit viel Lektüre verbringen, da meine Liebste mich allein lässt, um auf Sylt ihr Schlusslektorat des neuen Erzählbandes „Der Mond ist ein Licht in der Nacht“ fertigzustellen, was hier im Trubel des Alltags nicht möglich ist.

Als ersten großen Lektürehappen habe ich mir Raoul Schrotts „Tristan da Cunha oder Die Hälfte der Erde“ vorgenommen. Es ist ein wunderbares Buch von über 700 Seiten, das ich, als ich vor dem Sommer zu lesen begann, leider auf Seite 110 liegen lassen musste. Auch das soll jetzt fortgeführt und abgeschlossen werden; möglichst ‚unterbrechungsfrei‘. Mal sehen, vielleicht schreibe ich gar eine Kleinigkeit darüber.

Tja, solche Köstlichkeiten stehen mir bevor. Das macht mich glücklich.

Bleiben Sie es auch
wünscht Ihr PHG

Asmik Grigorian als ‚Salome‘

PS: Gestern sah ich mit der Liebsten im TV Richard Strauss‘ Oper „Salome“, eine Inszenierung aus der Felsenreitschule Salzburg, die mich regelrecht körperlich erschüttert hat. Großartig, ganz großartig, vor allem Asmik Grigorian, der litauischen Sängerin der Salome wegen. Ich habe die Sendung aufgenommen und werde sie mir in den nächsten Tagen nochmals ansehen. Ja, auch für so was habe ich nun mehr Zeit.


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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker