Was sind eigentlich Juden? Zurück aus den ‚Bloodlands‘
Freitag, 13. Juli 2018, bei Händels Arien für Senesino, Montagnana, Cuzzoni und Durastanti
Vom Übel sein.
Wir sinds.
Wir sind vom Übel.
(Marie-Luise Kaschnitz)
Die Koffer sind noch nicht ausgepackt, doch sind wir seit dem späten Nachmittag des Mittwoch zurück, wobei die Liebste gestern gleich weiter nach München fuhr, wo sie am Abend eine Lesung hatte und sich erst gegenwärtig im Speisewagen des ICE erneut nähert; ich freue mich auf sie.
Ich will momentan nicht viel über Polen schreiben, über dieses erstaunliche Land, das seinem Namen alle Ehre macht. Es würde mich gänzlich überfordern, wenn ich auch nur ein einziges Datum unserer Reise herausgreifen würde. Also auch nichts über die großartigen Städte Breslau und Krakau, die mich sehr beeindruckt haben.
Nichts über Auschwitz, das mir die Sprache verschlagen hat. Nichts über Gogolin, nichts über …
Ja, worüber dann? Ich denke, vorerst müssen einige Worte gewissermaßen zum menschlichen Bewusstsein reichen. Und dann noch etwas zu den nächsten Arbeitszielen, über die ich mir am Morgen unter der Dusche klar geworden bin.
Zum menschlichen Bewusstsein deshalb, weil ich auf dieser Reise einige Kleinigkeiten erlebt habe, die ich niemals für möglich gehalten hätte. So bedankte sich nach unserer Führung durch Auschwitz (Stammlager Auschwitz I und Auschwitz II, Birkenau) zum Beispiel jemand aus unserer Reisegruppe mit den Worten, das sei für ihn sehr wichtig gewesen, denn er habe gar nichts davon gewusst. Kann das sein, dachte ich? Kann man gar nichts von Auschwitz wissen? Kann man das?
Augenscheinlich kann man. Es wurde auch gefragt: Was bedeutet SS? Und: Wann war der 2. Weltkrieg beendet? Aber der Höhepunkt war: Was sind eigentlich Juden? Eine Frage, wie ich finde, die im Grunde eine Antwort verunmöglicht. Aber glauben Sie mir bitte, ich möchte das gar nicht in irgendeiner Weise beurteilen. Nur vermerken, festhalten möchte ich es, verbunden mit meiner erschrockenen Sprachlosigkeit.
Der Besuch in Auschwitz wird mich vermutlich noch lange beschäftigen, aber gut, das tut dieser Ort der größten menschlichen Niedertracht, den die Deutschen dort in Polen eingerichtet haben, ja schon mein ganzes Leben hindurch.
Ein näherliegendes Arbeitsziel wird, – abgesehen von der noch auf mich zukommenden Durchsicht der Druckfahnen der Romane „Calvinos Hotel“ und „Nichts weißt du, mein Bruder, von der Nacht“, – die Fertigstellung der 3 Novellen des Bandes „Isoldes Liebhaber“ sein. Ich werde es so machen, dass der Novellenband mit dem Text „Er kommt erst am Abend zurück“, den ich im Frühjahr geschrieben habe, beginnt. Die Titelgeschichte werde ich in die Mitte setzen. Und die Novelle „Das Licht im Auge“ soll den Schluss bilden.
Wenn das geschafft ist, so wird das Jahr vermutlich kurz vor dem Abschluss stehen. Drücken Sie mir die Daumen, dass ich mich nicht grob verschätze bzw. dass nichts dazwischen kommt. Aber falls es gut läuft, so wird diese Arbeit einen alten Mann glücklich machen.
Was ich auch von Ihnen erhoffe
sagt Ihr PHG