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Jetzt wohl achte Fassung

Wiesbaden, Dienstag, 5. Juni 18, bei Claudio Monteverdis
'Selva Morale e Spirituale' mit Emma Kirkby

Heute wieder mit dem Lektorat des Romans „Nichts weißt du, mein Bruder, von der Nacht“ durch, die neue korrigierte Fassung ist ausgedruckt. Das ist jetzt wohl die achte Fassung des Romans. Wenn ich mich ein paar Tage davon erholt habe, was wohl am Wochenende der Fall sein wird, so muss dann noch ein weiterer Durchgang folgen, womit ich eine Gesamtlektüre meine, bei der ich, neben allem anderen, besonders darauf achten will, ob die Lebensdaten der Figuren tatsächlich korrekt sind, damit nicht am Ende jemand ein Haus baut, obwohl er sich vorher schon aus dem Leben verabschiedet hat. Lachen Sie nicht, sowas kann vorkommen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Danach dann werde ich die Druckfreigabe erteilen. Bis wann das Buch dann gesetzt etc. sein wird, das weiß ich jetzt noch nicht. Aber das muss ich auch nicht. Zumal sich das Buch mit den Schlussarbeiten für die Neufassung des Romans „Calvinos Hotel“ überschneidet. Gestern sprach ich mit Leander Sukov, der den neuen Satz meiner überarbeiteten Manuskript-Fassung nun am kommenden Wochenende erstellen will. Das Ergebnis werde ich dann ebenfalls nochmals ansehen müssen, bevor die Freigabe für den Druck erfolgen kann.

Gewiss können beide Bücher erst nach unseren Reisen nach Murnau und nach Auschwitz fertig und hoffentlich auch lieferbar sein. Also Mitte bis Ende Juli. Geduld, bitte – oder die alte Fassung lesen.

Bei meiner Morgenlektüre, die ich nach dem Aufstehen wie immer noch im Schlafanzug hielt, (heute wieder Handkes ‚Aber ich lebe nur in den Zwischenräumen‚, dieser wunderbare Interview-Band mit H. Gamper von 1987) las ich die fast wehmütig machenden Sätze:

… daß ich mir zum Beispiel denk: dieses Jahr wird dieses Jahr sein; wo ich kein Thema hab, sondern nur die Welt walten lasse. Was auch immer mir erscheint und was mir sprachlich faßbar wird, notier ich, und sowie das zur Erzählung wird, dieses Notieren, soll es zur Erzählung werden, so lange nur mein Atem reicht; wie der Atem aufhört, hört es auch auf, und die Notate fangen wieder an. (S.96-97)

In mir erzeugt diese Handkesche Wunschvorstellung, von der Natürlichkeit des Schreibens, das wie ein Atem sein soll, eine regelrechte Traurigkeit, denn sie ist ja ein nicht zu erreichendes Ideal. Und dann musste ich auch denken, dass ein solches Schreiben bzw. die daraus entstehende Literatur für die heutigen auf simple Handlungromane konditionierten Leser fast gar nicht mehr lesbar ist, ja, fast gar nicht mehr erträglich.

Letzthin las ich auf amazon regelrechte Beschimpfungen, die Handke sich für sein neues Notizenbuch „Vor der Baumschattenwand nachts“ gefallen lassen muss. Da schreibt einer: Der Titel ist falsch. Er müsste lauten: ALTERSWEISHEITEN EINES HIRNAMPUTIERTEN GOETHE. Wer dieses Handke Buch mit Goethes Maximen und Reflexionen gegenverkostet, wird sofort wissen, was ich meine. Welch eine Bauchlandung … Ein anderer bezeichnet das Buch als „Strohdummer Nonsens“ und meint dann: Hat das Peter Handke verfasst oder ein Computer-Schreibprogramm, dem freie Hand gelassen wurde? Bei diesem sinn- und zusammenhanglosen Geschwurbel erscheint mir Letzteres plausibler.“

Solch  ein bösartiges Geschwätz über einen Autor  lesen zu müssen, der wohl derzeit die größte Sprachkompetenz der deutschsprachigen Literatur besitzt, tut mir mehr als weh.

Aber ich bin sicher, dass die Lesefähigkeit für Bücher, die den Leser NICHT bei der Hand nehmen und auf den sicheren Geleisen einer übersichtlichen Handlung auf das wohlkonstruierte Ende zufahren lassen, gar nicht mehr existiert. Alles, was kein Handlungsroman ist, ist für den heutigen Leser „zusammenhangsloses Geschwurbel“. Ohne das künstliche Konstrukt einer Handlung reicht das Gehirn zum Verständnis eines Textes nicht mehr aus. Wie schade.

Machen Sie noch was aus dem Dienstag
und bleiben Sie glücklich
wünscht Ihnen PHG

 

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker