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Scribere necesse est, vivere non necesse!

Wiesbaden, Freitag, 08. Dezember 2017, bei Verdis „I vespri siciliani“, unter James Levine, der gerade wegen sexueller Übergriffe geächtet ist

für Klaudia Wolkenstein

Stimmt meine Überschrift eigentlich? Ist das Schreiben notwendig? Notwendiger gar als das Leben? Mit Sicherheit ist das doch wohl eine gänzlich absurde Behauptung, nicht wahr, wenn ich mal kurzfristig den Standpunkt eines Normalmenschen einnehmen darf. An anderer Stelle habe ich sogar einmal gesagt: Schriftsteller wird man, wie Gregor Samsa (in Kafkas Erzählung ‚Die Verwandlung‘) ein Käfer geworden ist, ein Ungeziefer.

Nabokovs Zeichnung des Käfers in seinem Manuskript zur Vorlesung über Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“

Nun ist dass natürlich eine Metapher, doch auch wenn man davon ausgeht, dass nicht jede Metapher eins zu eins die Wirklichkeit nachzubilden vermag, so wird selbst der hoffnungsfroheste Absolvent eines Schreibkurses, der gerade durch die Anfangsgründe des Schreibhandwerks gestolpert ist, möglicherweise zu ahnen beginnen, dass das Schreiben auch ein Unglück sein kann. Die Bedienerin in Kafkas Erzählung bezeichnet ihn gar als einen „Mistkäfer“, und wäre nicht in der Tat der Umstand, für andere ein Mistkäfer zu sein, ein rechtes Unglück? Natürlich wäre es das.

Das verschärft die Frage nach der Wahrheit des Satzes in der Überschrift wesentlich, denn kann man wirklich sagen und glauben, dass das Schreiben notwendig ist, wenn dabei auch nur ganz entfernt die Möglichkeit besteht (von Gewissheit wollen wir nicht reden, vorerst zumindest nicht), dass man dadurch zu etwas wird, dass so verachtet sein kann wie ein Mistkäfer? Kein Mensch, der bei Verstand ist, würde oder sollte das tun.

In jedem anderen Beruf würde man doch glatt kündigen, wenn man dort so zu leiden hätte, wie Gregor Samsa in seiner Familie zu leiden hat, nachdem er sich eines Morgens in einen Käfer verwandelt hat. Nun stimmt schon, aber vielleicht ist ja das Schreiben überhaupt kein Beruf, auch wenn einige so tun.

Was könnte es noch sein, wenn es kein Beruf ist? Vielleicht eine Krankheit? Durchaus möglich, würde ich sagen, wobei das den Vorteil hätte, dass die Möglichkeit eines Berufes dadurch nicht ganz ausgeschlossen wäre. Es gibt ja durchaus Menschen, die ihre Krankheit zum Beruf machen. Viele Psychopathen werden zum Beispiel Politiker oder auch Manager, manche beides.

Nun findet sich aber bei Franz Kafka noch ein anderer Fingerzeig, ein anderer Hinweis auf eine mögliche Antwort auf die Frage, was das Schreiben eigentlich ist.

Was sagt der da? Er ist Literatur? Er? Und kann auch nichts anderes sein? Mein Gott, kann man denn nicht alles Mögliche sein? Taxifahrer oder Bürokaufmann, Gurkenverkäufer auf dem Wochenmarkt, Computerfritze, Bademeister und Eintänzer, Müllmann und Opernsängerin, Klonierer von Embrionen, Käselaibwender in einer Hochgebirgskäserei, Kartenabreißer in  einem Pornokino? Ach nee, die sind ja alle eingegangen, Porno gibt es inzwischen im Internet kostenlos.

Sicher fällt Ihnen noch was anderes ein. Ach, wie doch das Gehirn manchmal arbeitet, nicht wahr. Ich hatte mal eine Freundin, die mit mir zusammen Medizin studierte. Sie verdiente sich ihr Studium, indem sie in die Sauna eines großen Hamburger Hotels ging, sich dort auszog, um sich besichtigen zu lassen, (ohne Besichtigung kann man keinen Preis ausmachen) und dann sehr schnell mit einem der älteren Herren, die in diesem Hotel zu Gast waren, aufs Zimmer zu verschwinden.

Angeblich soll sie später eine gute Ärztin geworden sein. Natürlich hätte ich auch diesen Weg gehen können, aber mein Kreislauf verträgt die Temperatur und die hohe Luftfeuchtigkeit der Sauna nicht so gut.

Was ich sagen will, man kann alles sein, und niemand wird etwas dagegen haben, aber ausgerechnet Literatur? Was aber aus Kafkas Satz klar werden sollte, das ist, dass das Schreiben eben kein Beruf ist. Es ist vielmehr eine Seinsweise. Nichts, was Sie frei wählen können also. Es ist ebenso eine Seinsweise, wie der Umstand, dass Sie als Männlein oder Weiblein, als Schwarzer oder Weißer geboren wurden, als Jude oder sonstwas, zu der Art und Weise Ihres Seins gehört. Das müssen Sie leben, da beißt die Maus keinen Faden ab. Niemand sagt, dass man leben muss. Massenhaft demonstrieren Selbstmörder jedes Jahr auf der ganzen Welt, dass es nicht nötig ist zu leben. Aber wenn Sie sich dieser Hintertür nicht bedienen wollen und schreiben, wirklich schreiben, dann ist das Schreiben für Sie notwendig. Notwendig wie das Atmen, nichts in ihrem Leben wird dann so notwendig sein wie das Schreiben. Immer, immer, bis zum Ende. Ganz unabhängig davon, ob Ihre Bücher sich gut oder schlecht oder gar nicht verkaufen. Schreiben müssen Sie dann, und wenn Sie nichts haben als eine Kerze, die Ihnen nachts beim Schreiben leuchtet.

Vor etwas über zwei Jahren habe ich mal ein Gedicht von Charles Bukowski hier gepostet. Es gefällt mir immer noch sehr gut, und es drückt genau das aus, was ich meine. Ich setze es nochmal hierher. Ansonsten mache ich für heute hier mal Schluß, es ist längst Schabbat. Bleiben Sie glücklich und lesen Sie Bukowski, Ihr PHG

BIS ZUM ENDE GEHEN

Wenn du es versuchen willst
geh bis zum Ende oder
fang gar nicht erst an.
Kann sein, du verlierst die Freundin
die Frau, Verwandte, Jobs
und vielleicht den Verstand.
Kann sein, du isst nichts, tagelang.
Kann sein, du frierst auf einer Parkbank.
Kann sein, Gefängnis.
Kann sein, Verachtung.
Kann sein Spott, Isolation.
Isolation ist die Belohnung, alles andere
ist eine Belastungsprobe für deinen Willen
das durchzustehen.
Und du wirst es durchstehen
trotz Ablehnung und Widrigkeiten.
Und es wird besser sein, als alles
was du dir vorstellen kannst.
Wenn du es versuchen willst
geh bis zum Ende.
Nichts anderes kommt dem gleich.
Du wirst allein sein mit den Göttern.
Und die Nächte werden in Flammen stehen.
Du wirst das Leben bis zum schieren Lachen treiben.
Es ist der einzige Kampf, den es sich lohnt zu kämpfen.

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker