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Wem treu bleiben?

Venedig, Donnerstag, 26. Oktober 2017, bei Bruckners 8. Sinfonie unter Herbert von Karajan

„Ich sehe keine leeren Wege und keinen Zugang zur freien
Ebene mehr.“ lässt Peter Handke den Gregor in ‚Über die
Dörfer‘ sagen. Und weiter: „Am liebsten ließe ich den Brief
unbeantwortet und bliebe hier bei dem einzigen, wo ich
Treue beweisen kann: bei meiner Arbeit – die ohnedies
schon gefährdet ist.“

Ja, das ist vielleicht eine der ganz zentralen Fragen im Leben, wem und was man treu sein kann, gar muss. Und mit dem Hinweis auf die eigene Arbeit beantwortet das wohl längst niemand mehr, heute im Zeitalter, in dem die Kinder bereits mit der Mobilitätsgarantie im Genom gezeugt werden. Wer will sich denn schon selbst disqualifizieren, wenn er seine fehlende Flexibilität unter Beweis stellt, indem er an seiner einmal gewählten Arbeit festhält.

Und einer Arbeit treu zu sein, während schon längst kein Anspruch auf Treue gegenüber einem Menschen mehr erhoben werden kann, wer verstiege sich dahin? Lediglich dem Künstler scheint das noch möglich. Treue dem persönlichen Werk gegenüber, einer Arbeit gegenüber, die so anachronistisch ist, dass man von seinen eigenen Kindern verlacht wird, während man sie tut.

Du hast eben einen völlig überholten Bildungsbegriff, sagte mir mein Sohn, der selbst gar keine Bildung besitzt, außer der, die er auf dem Computer mit Hilfe einer Suchmaschine finden könnte, wenn er wollte. Aber warum sollte er das wollen?

Ich stimme Peter Handke zu. Die einzige Treue empfinde ich, außer für meine Liebste, die meinen Lebens- und Arbeitsweg begleitet, eben für meine Arbeit. So bin ich jetzt auch endlich wieder zu meinem neuen Roman-Manuskript „Nichts weißt du, mein Bruder, von der Nacht“ zurückgekehrt, das längst fertig sein sollte und es wegen dutzenderlei Verzögerungen bei der Publikation meines Brasilienromans „Der Mann, der den Regen fotografierte“, leider nach wie vor nicht ist.


Da liegt es also, das Manuskript, das ich spätestens in der letzten Aprilwoche fertig und beim Verlag haben möchte, damit es im Frühjahr 2018 zur Messe erscheinen kann. Es ist, nach meinem schreibenden Ausflug in die Ferne von Brasiliens Nordosten, unterhalb des Amazonas, ein Buch geworden, das wieder ganz in der Nähe spielt. In Deutschland, ein paar Kilometer südlich von Limburg. Und thematisch findet es seinen Platz im Rahmen einer Familiengeschichte, denn ich erzähle von der Auseinandersetzung zweier Brüder. Womit sich das Buch an meinen Roman „Das Herz des Hais“ anschließt, der Geschichte zweier Schwestern.

Gestern wurde ich in einem Gespräch gefragt, ob Bücher so entstehen, dass man plötzlich irgendeine Idee habe. Wir wurden dann unterbrochen, sodass ich die Antwort schuldig bleiben musste. Ich hätte dem Frager sagen wollen, dass Ideen eine gute Sache sind, Bücher aber nicht daraus entstehen, selbst aus hundert Ideen nicht. Bücher entstehen ausschließlich durch jahrelange Arbeit. In diese Arbeit mögen auch Ideen einfließen. Aber Bücher würden auch ohne diese Ideen entstehen. Ohne jahrelange Arbeit aber niemals.

Und da sind wir wieder bei der Treue zu dieser immer gefährdeten Arbeit, denn ohne Treue ist diese Arbeit niemals zu leisten. Wie lange ich an „Nichts weißt du, mein Bruder, von der Nacht“ gearbeitet haben werde, wenn es dann im nächsten Frühjahr tatsächlich erscheinen sollte, weiß ich momentan nicht. Bei meinem gerade neuen Roman „Der Mann, der den Regen fotografierte“ sind es genau fünf Jahre gewesen. Und damit Sie begreifen, was diese fünf Jahre eigentlich bedeuten, müssen Sie noch mit der Tatsache multiplizieren, dass ich bis zum heutigen Tag keinen einzigen Cent Honorar dafür erhalten habe. Ob sich das jetzt nach dem Erscheinen ändern wird, das steht gänzlich in den berühmten Sternen. Aber egal, es könnte eh niemals ein Honorar sein, dass auch nur eines dieser fünf Jahre ausgleicht. Schweige wir also davon.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie in Ihrem Leben etwas haben oder finden mögen, dem Sie treu sein können. Das ist ein weit größerer Schatz als selbst die allenthalben beschworene „Gesundheit“, die die Leute sich zu wünschen pflegen.

Bleiben Sie glücklich, wünscht Ihnen
Ihr PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker