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Die Unkosten reinbekommen

Wiesbaden, Sonntag, 13. August 2017, bei den ersten 5 Symphonien von Hans Werner Henze, 
unter seinem eigenen Dirigat

Am Morgen mit der Liebsten rumgetrödelt, dann unter dem Sonnenschirm gedeckt und gefrühstückt; Wespen mögen Eier. Jetzt Musik, nämlich die frühen Symphonien von 1948 bis 1962 von Henze, und die Gedanken sammeln.

Alte Schallplatten sind wunderbar

In der Nacht war ich um 4:30 Uhr auf, weil ich aus einem Traum erwachte, der unter Toten spielte. Das erzähle ich Ihnen aber nicht, es gehört allenfalls später ins Tagebuch.

Wenn man wie ich schon seit mehr als einem halben Jahrhundert schreibend verbringt, als Schriftsteller verbringt, dann denkt man über das grundsätzliche WARUM dieses Tuns in der Regel nicht mehr nach. Woran man denkt, das sind die näherliegenden Fragen, die den jeweils in Arbeit befindlichen Text betreffen. So habe ich vor einigen Tagen entschieden, das Buch über den Tod meiner Mutter, das ich vor etwa einem Jahr abschloss, wieder aufzunehmen und publikationsreif zu machen. Kurz, man beschäftigt sich mit der jeweiligen Schreibarbeit, nicht mit der Frage des Schreibens überhaupt. Jemandem, der mit einer Frage danach käme, dem könnte man ja im Grunde nur ein „zu spät“ zurufen.

Wenn ich es nun trotzdem tue, so deshalb, weil ich in der vergangenen Woche mit einer Frage konfrontiert war, die in gewisser Weise das berühmte „Warum schreiben Sie“ um ein Vielfaches übertraf. Die Frage kam von jemandem, der selbst darüber nachdachte, möglicherweise einen Roman zu schreiben, und sie lautete: „Kann man denn davon ausgehen, dass man die Unkosten wieder reinkriegt?“

Ich war zuerst völlig perplex und fragte: „Welche Unkosten?“ Die Antwort war von einem Kopfschütteln begleitet: „Na, wenn man ein Buch schreibt, dann hat man doch bestimmt Auslagen, Unkosten, oder? Die müssen doch wieder reinkommen.“

Tja, da steht man dann da, schreibt seit über einem halben Jahrhundert und hat noch niemals darauf geachtet, dass man seine verdammten Unkosten wieder reinbekommt. Noch nicht mal dran gedacht! Ich gebe es zu. Mea culpa! Mea culpa maxima! Vermutlich hat mich deshalb einer meiner Söhne vor einiger Zeit als „Versager“ bezeichnet. Er, der 80 Programmierer in Afghanistan (oder Parkistan?) für sich arbeiten lässt, damit die Millionen aufs Konto trudeln, hat seine Unkosten gewiss immer reinbekommen, die zuerst. Nur der Loser von Vater war dafür zu blöde. Warum schreibt der überhaupt? Muss ein Idiot sein. Schlimm, wenn man solch einen Vater hat.

Ich habe dann für den Frager nach den Unkosten eine kleine Rechnung aufgemacht. Am Beispiel meines neuen Romans „Der Mann, der den Regen fotografierte“, der von der Idee bis zum Erscheinen ziemlich genau 5 Jahre benötigt hat, was für mich kurz ist. Ich habe also 5 Jahre gearbeitet, dafür habe ich nicht nur keinerlei Lohn irgendwelcher Art erhalten, auch die „Unkosten“ hat mir niemand ersetzt, was auch immer das sein mag. Ich musste mir diese 5 Jahre selbstverständlich selbst finanzieren, damit ich überhaupt am Buch arbeiten konnte. Aber wer hätte mir auch 5 Jahre Arbeit finanzieren können? Selbst bei einem einigermaßen miesen Einkommen von 20.000,– im Jahr wären das ja 100.000,– Euro gewesen. Rechnete man davon nur die Hälfte, also 50.000,– Euro, dann lebte man als Schriftsteller an der Armutsgrenze (was in der Tat sehr viele Schriftsteller tun). Aber auch diese 5 Jahre Leben und Schreiben an der Armutsgrenze wird einem selbstverständlich niemand finanzieren.

Der Autor in Form einer Ente

Tja, wat nu?! Ratlose Blicke allenthalben. Dann darf man halt keine „Unkosten“ produzieren, wa? Ha, und von der ’schmutzigen Gabel‘ hatte ich dabei noch gar nichts gesagt. Die besteht nämlich darin, dass ich auch nach Erscheinen des Buches nix bekomme. Frühestens in einem Jahr werden da Honorare fällig sein. Und wie hoch die ausfallen, ach … Schwamm drüber.

Okay, Schriftsteller – von den paar Kollegen, die zufällig mal einen Erfolg haben, abgesehen – sind in der Regel genau solche Trottel wie ich, Idioten, die nicht mal ihre Unkosten wieder reinbekommen. Ich schätze mal, dass es 95% aller Autoren so geht, was vermutlich übertrieben positiv gedacht ist. Aber wenn man nicht positiv denkt, was dann? Warum also machen die das? Zwar braucht es für Idiotie keinen Grund, sodass man die Frage auf sich beruhen lassen könnte. Aber so einfach ist es nicht, denn wenn dem so wäre, dann würde es längst keine Autoren mehr geben. Sie wären, den Darwinschen Regeln der Evolution folgend, längst alle ausgestorben. Tatsächlich kommen aber ständig neue nach. Und das liegt nicht an den Workshops für ‚Kreatives Schreiben‘, im Gegenteil. Warum also entstehen selbst in der für Autoren vielleicht schlechtesten aller Welten – wenn man von den Unkosten her denkt – immer wieder neue Autoren?

Das werden die Abrechner von Unkosten niemals begreifen. Schreiben hat nämlich gar nichts damit zu tun, was man damit verdienen kann oder könnte. Autoren schreiben nicht des Verdienstes wegen, allerhöchstens insofern, als man mit dem Verdienst das weitere Schreiben finanzieren könnte. Der Verdienst – falls es ihn geben sollte – ist also nur Mittel zum Zweck. Und der Zweck ist immer das weitere Schreiben. Niemals ist der Verdienst der Zweck, das Ziel des Schreibens. Autoren würden auch dann schreiben, wenn es gar keinen Buchmarkt gäbe, wenn sie im Kerker säßen und ihr Geschriebenes verstecken müssten. Sie würden schreiben, selbst wenn ihnen dafür die Todesstrafe drohte. Vielleicht sogar gerade dann.

Aber nochmals, warum? Wirklich beantworten lässt sich diese Frage nicht, weil die Antwort in einen transzendenten Bereich hinein reicht. Der (natürlich auch die) Autor/in schreibt deshalb, weil er sich durch eine tiefe Erschütterung dazu getrieben fühlt, an einem Werk zu bauen, das der Welt Sinn zu geben vermag. Er ist gezwungen, einen Sinn zu schaffen. Das gilt natürlich für alle Künstler, nicht nur für Autoren. Die Kunst ist die Tür oder das Fenster, durch die der Sinn in eine sonst sinnlose Welt gelangt. Ach, eigentlich ist der Künstler selbst diese Tür. Und in der Regel kann sich dieser Künstler gar nicht darum kümmern, ob er Unkosten hat, wenn er Öl zum schmieren der Türangeln benötigt.

Ich weiß nicht, ob ich es geschafft habe, mit diesen Erklärungen* etwas zu erklären, vermutlich eher nicht. Aber egal, es ist ja auch nicht meine Aufgabe, das Schreiben zu erklären. Meine Aufgabe ist es zu schreiben, nichts sonst. Versuchen Sie es halt selbst herauszufinden, was diese komische Spezies der Künstler usw. antreiben mag. Es ist auf jeden Fall ‚kompliziert‘, wie einige Leute heute gern in Neudeutsch über ihre Beziehung zu sagen pflegen. Und falls Sie es nicht begreifen und nur Unkosten sehen, dann sollten Sie wenigstens schauen, dass Sie die von der Steuer absetzen.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Unkosten
immer vermeiden können
Ihr PHG

 

PS: Abendlicher Nachtrag: Mir fiel vorhin ein, dass es irgendwo auf den letzten zwei Seiten meines Romans „Der Mann, der den Regen fotografierte“ eine weit bessere Erklärung für das gibt, was ich hier wohl nur unverständlich begreiflich zu machen versucht habe. Also einfach mal nachlesen. Und wie gesagt, es steht auf den beiden letzten Seiten. Sie müssen sich also keinesfalls durch das ganze Buch quälen.

 

 

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker