Jetzt doch noch: Ein Vorwort, das nie erschien
Venedig, 24. Januar 2017, bei J.S. Bachs "Wohltemperiertem Klavier", Solistin: Rosalyn Tureck, Gesamtaufnahme aus den Jahren 1952/1953
Im Frühsommer 2015 erschien – es kommt mir vor, als sei es schon ewig her – die Neufassung meines Romans „Kinder der Bosheit“. Damals hatte ich ein Vorwort für diese Neuerscheinung verfasst, von dessen Veröffentlichung man mir aber abriet. Ich weiß nicht mehr, was die Gründe waren.
Vermutlich erschien dieses Vorwort den Kritikern zu persönlich, zu privat. Nun, auf jeden Fall habe ich mich 2015 den Argumenten gefügt, und ich habe seither nicht mehr daran gedacht. Bis, ja bis ich es heute unter meinen alten Aufzeichnungen fand, es las und regelrecht körperlich spürte, wieviel es mir nach wie vor bedeutet.
Deshalb habe ich mich an diesem grauen, kalten Tag entschieden, es doch noch zu veröffentlichen. Wenn auch nur hier in meinem BLOG. Also denn, hier ein weiteres Stück, das auf dem Weg meiner lebenslangen Totensuche entstanden ist, das sich mir aufgedrängt hat, angeboten hat, gefunden werden wollte … wie auch immer.
Widmungsentwurf für „KdB“
Mitte der 80ger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als ich den Roman „Kinder der Bosheit“ schrieb, stieg ich in meine Kindheit hinab und lebte für lange Zeit wieder in den Ruinenstädten, in denen ich aufgewachsen war. Ich erträumte Personen und Orte neu zum Leben, die für mich das Kindheitsland ausmachten. Das ist wohl der Grund, warum sich nicht genau sagen lässt, was daran Wirklichkeit – welche Wirklichkeit? – im Sinne einer nachprüfbaren Historie ist. Der Text verwebt die Fakten und die Fiktionen miteinander, verbindet Imagination und Realität, Traum und erschrockenes Wachsein ebenso wie Märchen und Mythos.
„Kinder der Bosheit“ ist mein Requiem. Es entstand aus der Trauer meines Lebens und versucht die Toten zu beschwören, die bis heute für mich kein Gesicht haben. Ich arbeite immer noch daran, dies zu ändern.
Darum widme ich die Neufassung dieses Buches meiner geliebten Mutter, die mir immer gesagt hat, dass ich mich falsch erinnere, sowie den folgenden Personen:
Grete Gogolin
geb. 23. 11. 1894 in Gleiwitz
am 25. 05. 1942
47 Jahren und 6 Monate alt
von Gleiwitz aus deportiert
Käthe Gogolin
geb. 19. 07. 1921 in Gleiwitz
am 25. 05. 1942
20 Jahren und 10 Monaten alt
von Gleiwitz aus deportiert
Horst Gogolin
geb. 24. 11. 1925 in Gleiwitz
am 26. 06. 1942
16 Jahre und 7 Monate alt
von Berlin aus deportiert
Heinz Gogolin
geb. 28. 08. 1928 in Gleiwitz
am 28. 05. 1942
13 Jahre und 9 Monate alt
von Gleiwitz aus deportiert
Hannelore Gogolin
geb. 31. 10. 1937 in Beuthen
am 28. 05. 1942
4 Jahre und 7 Monate alt
von Gleiwitz aus deportiert
Sie alle starben in der Shoah.* Ihre Geschichte werde ich noch schreiben müssen.
PS: Liebe Mutti, jeder erinnert sich falsch.
Liebe BLOG-Leser, falls dies etwas deprimierend klingen sollte, Sie wissen ja, ich wünsche Ihnen trotzdem ein aufrichtiges: Seien Sie heiter!
Ihr PHG