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Warum stört es uns, dass wir nicht optimal sind?

Mein Sohn erzählte mir, dass er sich inzwischen seit über einem Jahr coachen lässt. Obwohl ich selbst als Coach arbeite, war ich darüber erstaunt. Seltsamerweise hätte ich niemals gedacht, dass er ein Coaching brauchen würde. Ich hatte mir meinen eigenen Sohn wohl zu autonom vorgestellt. Er berichtete, wie es dazu gekommen war und erzählte, wie gut sich das Coaching für ihn persönlich und seine Firma ausgewirkt habe. Er sagte u.a. , das Coaching habe in befähigt, in einem Jahr so viel zu schaffen, wie sonst in drei Jahren.

So weit so gut. Dagegen gibt es ja an sich nichts einzuwenden. Mir wurde dabei aber klar, dass ich meine eigene Arbeit als Coach bisher anders begriffen hatte. Mir war es immer darum gegangen, meinen Coachees behilflich zu sein, etwas Neues zu erlernen. Mit anderen Worten, mir war es nie allein um diese Art von Optimierung gegangen, in einem Jahr das zu schaffen, was man sonst nur in dreien erreichen könnte. Wenn man es so betreibt, dann kommt mir das Coaching wie eine Art von Doping vor. Das finde ich ethisch problematisch.


Aber das ist ja vielleicht eine Problematik, die dem Coaching überhaupt anhaftet. Im Ursprung ist Coaching eine Methode des Ratgebens für diejenigen, die durch ihre gesellschaftliche Position keine natürlichen Ratgeber mehr haben konnten, weil niemand ihnen die Wahrheit zu sagen oder ihnen zu widersprechen wagte. Die Wahrheit ist dabei für mich das Entscheidende! Der Coach hat ein getreuer Spiegel der wahren Situation, der wahren Verhältnisse zu sein, die der Coachee infolge seiner Verstrickungen darin nicht mehr zu sehen vermag. Wenn ein Coachee stattdessen seinen Coach dazu benutzt, die entscheidenden Zehntelsekunden schneller zu sein, was ist dann?

Nun, vermutlich ist es mein Problem. Während es mir um die Wahrheit der Person geht, sind die meisten meiner Kollegen sowieso nur damit befasst, dass Verhalten ihrer Auftraggeber zu designen und ihnen eben diesen Vorsprung zu verschaffen, der sie in die Lage versetzt, in einem Jahr das Pensum von dreien zu erledigen.

Und unser Leben? Was wird damit sein? Werden wir am Ende auch drei Leben gelebt haben? Oder paradoxerweise nur ein Drittel?

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker