Die Größe der Seele messen
Wiesbaden, 25. November, bei Ponchiellis "La Gioconda"
Zu den Dingen, die mir besonders viel Spaß machen, gehört die Auseinandersetzung mit den Thesen derjenigen, die der Philosoph John R. Searle die “Vertreter der starken KI” genannt hat. Die KI (Künstliche Intelligenz) verfolgt das Ziel, mit Computern die Tätigkeit des menschlichen Geistes nachzubilden und ihn eines Tages möglicherweise gar zu übertreffen. Dabei wäre es natürlich ein erstrebenswertes Ziel, ihn überhaupt erst einmal zu verstehen.
Um es kurz zu machen, ich teile die Ansicht von Philosophen wie Searle und Roger Penrose, dass die Ziele der starken KI nicht zu erreichen sind. Insbesondere finde ich die argumentative Kraft von Searles Gedankenexperiment des “Chinesischen Zimmers” evident. Dies sei hier ohne weitere Begründung gesagt, da es mir darum im Moment nicht geht.
Worum es mir geht, das ist Douglas Hofstadter. Er ist vermutlich derjenige Vertreter der starken KI, der international als einziger einem größeren Publikum bekannt ist, seit er das Buch „Gödel, Escher, Bach – ein Endloses Geflochtenes Band“ publizierte, für das er 1980 den Pulitzer-Preis sowie den American Book Award (Science Hardback category) erhielt.
Ich habe im Jahr des Erscheinens bei Radio Bremen unter dem Titel ”DIE ORGANISATION DES DENKENS“ eine dreiviertelstündige Radiosendung über dieses Buch veranstaltet. Aber das ist alles Vorgeschichte. Seither habe ich natürlich alle seine Buchpublikationen verfolgt. Schon allein deshalb, weil ich sehen wollte, wie die zeitlichen Projektionen auf die Leistungsfähigkeit von Computern regelmäßig zuschanden wurden. Dann aber auch, da Doug höchst originell ist und nicht davor zurückschreckt, wirklich etwas zu wagen. Welcher gegenwärtige Denker würde sich schon zu Kapitelüberschriften wie ”Wie fühlt es sich an, eine Tomate zu sein?“ oder zu ”Kann Klopapier denken?“ hinreißen lassen?
Sein momentan letztes ins Deutsche übersetzte Buch ”Ich bin eine seltsame Schleife“, wirkt freilich recht enttäuschend. Es ist nicht nur erklärtermaßen eine vereinfachte Darstellung der meisten Positionen von Hofstadters Konzept der artifiziellen Intelligenz. Es versteigt sich vor allem sogar zu einer Definition der Seele, die sich recht absurd liest. Erstaunlich ist dies freilich schon allein deshalb, weil sich kein Philosoph der Gegenwart und schon gar kein Wissenschaftler jemals dazu bereit gefunden hätte, den Begriff Seele auch nur in den Mund zu nehmen. Womit man sich beschäftigt, das ist das Bewusstsein. Der Geist im Sinne des Mind noch, aber die Seele gewiss nicht.
Hofstadter tut es. Und er scheut sich auch nicht, die Seele zu definieren. Klar, das ist selbstverständlich unverzichtbar, wenn man hernach von den unterschiedlichen Größen der Seelen handeln will. Aber, was ist denn nun die Seele eigentlich??? Nach Hofstadter, der an diesem Punkt gewissermaßen bei Kant klaut, ohne ihn zu nennen, ist die Seele nichts anderes als das System an Begrifflichkeiten und Symbolen, mit dem wir unsere Wahrnehmungen ordnen. Kant würde zu Hofstadter zwar sagen, dass die Tatsache, dass wir über ein Symbolsystem verfügen, das unsere Vorstellungen strukturiert, noch längst nicht zur Annahme der Existenz einer Seele berechtigt. Letzteres ist einfach ein Beispiel für die schlechte Metaphysik, die uns immer wieder zu all den unhaltbaren Aussagen über Gott, Jenseits, das Leben nach dem Tode usw. verleitet.
Nun, die Begrifflichkeiten bei Hofstadter gehen reichlich durcheinander, sodass er das, was er einerseits als Seele bezeichnet, andererseit auch einfach mit so etwas wie ”Innerlichkeit“ gleichsetzt und dann übergangslos zum Ich und zum Bewusstsein gelangt. Zitat: Das zentrale Anliegen dieses Buches ist der Versuch, diese ”subtile innere Struktur“ zu bestimmen, von der ich annehme, dass sie dem zu Grunde liegt oder das hervorbringt, was ich hier eine ”Seele“ oder ein ”Ich“ genannt habe. Ich hätte genauso gut von einem ”inneren Licht“ sprechen können, von ”Innerlichkeit“ oder von dem alten Hit ”Bewusstsein“.
Mir will scheinen , dass ein derart unsubtiles Palavern über diese ”subtile innere Struktur“ selbst den unbedarftesten Suppenköchen der Esoterik nicht recht schmecken dürfte. Das hindert Hofstadter nicht daran, sogar die unterschiedliche Größe der Seele zu bestimmen, die verschiedene Lebewesen seiner Ansicht nach zwangsläufig haben müssen. Klar, wenn Seele, Ich, Bewusstsein etc. nur ein ”System von Begriffen und Symbolen“ ist, dann verfügt ein Atom, ein Virus, eine Mikrobe natürlich über sehr wenig bis gar nichts davon. Bei Mücken, Bienen, Goldfischen, Hühnern und Kaninchen wirds dann schon schwieriger, da wir ihnen sicher ein gewisses System innerer Symbole zugestehen müssen, sei es nur, um zu verstehen, wie sie auf wiederkehrende Reize reagieren etc. Hunden, Menschen mit Hirnschaden, geistig zurückgebliebene Menschen, senile Menschen usw. besitzen dann schon weit mehr Seele/Bewusstsein. Aber wirklich viel hat davon selbstverständlich nur der normale, erwachsene Mensch. Ein Zwanzigjähriger also weit mehr als ein Zweijähriger.
Beseeltheit ist also nach Hofstadter kein An/Aus-Modus, sie entwickelt sich vielmehr stufenweise und kann auch wieder schwinden. Zitat: Ich glaube …., dass eine menschliche Seele allmählich entsteht, im Lauf von Jahren der Entwicklung.
Was natürlich ebenso Folgen für unsere Ernährung haben dürfte wie für die Frage der Abtreibung, was Hofstadter auch selbst anmerkt. Denn so wie der Zellklumpen nach der Befruchtung über keinerlei Begrifflichkeit und Symbolsystem verfügen dürfte, das ihn in den Status des Beseelten versetzen könnte, so könnte ich ohne in ein moralisches Dilemma zu geraten, zwar eine Tomate essen, nicht aber ein Tier, das auf der Hofstadterschen Skala zwar nicht ganz oben aber immerhin im Mittelfeld angetroffen wird. Hunde essende Chinesen fallen dabei freilich schon total durch, denn Hunde kommen nach Hofstadter gleich unter den Menschen mit Hirnschaden. Und die essen wir ja auch nicht. Oder vielleicht doch? Ein Glück, dass ich schon längst Vegetarier bin.