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Wider die ‚Schwarzen Löcher‘

Wiesbaden, 24. Oktober 2012, bei Meyerbeers "Gli Ugonotti"

Bin inzwischen seit einer knappen Woche wieder in die Arbeit gekommen, in die tägliche, regelmäßige. Alles andere ist ja nur Flickschusterei, im besten Falle. Habe dem Brasilienstoff einiges hinzugeben können und bin jetzt tatsächlich endlich an der entscheidenden Schwelle der Handlung angelangt. Von nun ab wird Hendrik Cramer ein Gefangener sein, jeglichen Kontaktes mit der Außenwelt beraubt. Das ist natürlich für ihn selbst die schwierigste Situation seines ganzen Lebens, aus der er, wenn überhaupt, gänzlich verändert wird hervorgehen müssen. Aber auch für mich als Autor ist da ein ganz neues und höchst schwieriges Gebiet zu betreten, denn es ist ja die Frage, wie man einen Menschen schildert, der sich in einer solch totalen Isolation befindet und eigentlich nur noch auf den Tod warten kann, wenn er realistisch ist. Also sagen wir mal so: für Cramer ist es ein existenzielles Problem, für mich ist es ein darstellungstechnisches Problem, das ich naturgemäß aber sehr reizvoll finde. Wie wird Cramer mit seiner Angst fertig, seiner absoluten Hilflosigkeit, seiner Orientierungslosigkeit, seinem Hunger, seinem Durst, ja sogar mit seinem Stuhlgang etc. – mit allen Aspekten seines Ausgeliefertsein. Und für mich stellt sich Satz für Satz die Frage, wie ich das glaubwürdig und angemessen darstellen kann.

Cem. Nossa Senhora da Soledade

Freilich ist mein Schreiben der letzten Woche auch eines, das für mich stark mit der Situation des Helden im Roman korrespondiert. Ich hatte es schon aufgeben wollen und schreibe jetzt gewissermaßen gegen all die Schwarzen Löcher an, die sich für mich in der letzten Zeit aufgetan haben. Ich will das hier gar nicht weiter benennen, zumal die Leute, die es angeht, sowieso wissen, was ich meine, auch wenn sie mir versichern, dass alles gar nicht so sei. Nun egal, für meine Arbeit ist es auf jeden Fall höchst passend und zuträglich, wenn ich mich selbst in einer vergleichbaren Situation und Gemütslage befinde wie meine Hauptfigur. Man stelle sich vor, ich müsste z.B. über eine Hinrichtung schreiben, während ich selbst in absoluter Urlaubsstimmung wäre oder mich gerade neu verliebt hätte! Das wäre ja ein Ding der Unmöglichkeit.

Aber die Mimesis hat naturgemäß Grenzen zu haben. Wie sagt der aussätzige Plácido im Roman? „Es gibt ein Land der Verzweiflung. Dort gibt es mehr Leid als es gibt. Aber dorthin will Plácido nicht gehen.“ – Kluger Plácido!

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker