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Aussetzer des inneren Wortprozessors?

Wiesbaden, Samstag, 25. August 2012, bei "Storytelling" von Naná Vasconcelos

In dieser Woche bin ich doch merklich an meine Leistungsgrenze gekommen. Nicht, weil es insgesamt zuviel Arbeit gewesen wäre – das vielleicht auch -, vordringlich aber deshalb, weil ich zuviel verschiedene Texte durch mich hindurchlaufen lassen musste. Da hat der innere Wortprozessor zweimal gestreikt.

Zum einen sind da natürlich die täglich wechselnden Texte meiner verschiedenen Coachees, die ich lesen, analysieren und dann im jeweiligen Coachinggespräch mit ihnen gemeinsam besprechen muss. Das ist schon allein mitunter oft recht viel und vor allem von Stil und sprachlichem Ton her sehr differierend, was jeweils eine sehr schnelle Umstellung verlangt. Dann kommt eigentlich der jeweilige Hauptarbeitspunkt des Tages, sprich mein Schreibpensum am neuen Roman, das seit meiner Rückkehr aus Brasilien eigentlich das einzige sein sollte, was ich tue, aber naturgemäß nicht sein kann, weil sich bekanntlich der Rest des Lebens nicht ausschalten lässt, nur weil man zufällig gerade meint, einen Roman schreiben zu müssen. Hinzu kam dann gerade in dieser Woche die zweite Fahnenkorrektur meines Romans >>>>  „Das Herz des Hais“, der nun heute noch fertig werden soll und auch wohl wird, da mir lediglich noch die letzten 20 Seiten vorliegen. Außerdem war das Cover des Hais fertig zu machen, damit dafür die Freigabe erfolgen kann. Und was das Fass zum Überlaufen voll gemacht hat, das waren zwei zusätzliche Lektoratsarbeiten, die sich kurzfristig ergeben hatten und nun auch endlich fertig gemacht werden mussten. Für einen dieser Aufträge hatte ich allein 9 verschiedene Texte zu lesen und zu analysieren, bevor ich die Beurteilung schreiben konnte. Okay, das ist nun alles inzwischen auch getan, aber es hatte den Effekt, dass mein Gehirn anscheinend meinte, mit zu vielen Texten traktiert zu werden, die sprachlich und inhaltlich permanente Umstellungen verlangten, sodass da gestreikt wurde. Und was fiel dem Streik zum Opfer? Nun, natürlich mein eigener neuer Romantext, also eben das, was die größte sprachliche Kreativität von mir verlangt. Am Montag ging es noch ganz ordentlich, es wurden sogar über hundert Worte mehr, als mein Pensum vorsieht. Doch schon am Dienstag setzte alles aus, und ich war regelrecht taub im Kopf, konnte mich nichtmal auf die Frage konzentrieren, um was es denn eigentlich in der nächsten Szene gehen sollte bzw. welcher Figur die Perspektive gehören sollte. Das machte mir fast eine schlaflose Nacht. Tags drauf, am Mittwoch also, ging es dann wieder, und ich schrieb eine Szene, die ich lange schon vor mir hergeschoben hatte, weil sie in den Handlungsablauf nicht zu passen schien, obwohl ich sie unbedingt haben wollte. Sie gelang mir recht gut, sodass ich ich die Arbeit am Mittwoch sehr zufrieden beendete. Und dann fielen mir direkt zwei Tage aus, der Donnerstag und der Freitag, gleicher Zustand wie am Dienstag. Ich konnte mich lediglich auf die Fremdtexte konzentrieren. Das ist einerseits zwar auch wieder gut, weil dadurch zwei Aufträge abgearbeitet sind, die bereits honoriert waren. Aber es hätte trotzdem einfach nicht geschehen dürfen, da ich mir geschworen hatte, mich von den Brot- und sonstigen Arbeiten nicht mehr im eigenen Schreiben behindern geschweige denn vereiteln zu lassen. Nun, der Samstag lief  erneut zufriedenstellend, und wenn ich heute am Abend zudem noch den Rest der zweiten Fahne korrigieren kann, so sollte ich den Schreibrhythmus wohl gut zurückgewinnen können.
Freilich werden die Reisen in der kommenden Woche zusätzlich eine gehörige Irritation mit sich bringen. Mittwoch nach Berlin fürs Interview mit >>>>  Alban Nikolai Herbst und die anschließenden Gespräche im >>>>  Kulturmaschinen Verlag, wo ich über Nacht bleibe. Am frühen Nachmittag des Donnerstag dann weiter nach Naumburg, wo ich am Freitag noch ins >>>>  Nietzsche Dokumentationszentrum will, um mit Dr. Eichberg zu sprechen, eventuell für 2013 etwas vorzuplanen, vielleicht auch für Freitag und Samstag dort einen Arbeitsplatz bekommen und dann am Sonntag Nachmittag wieder zurück an den heimischen Schreibtisch zu fahren.

Und zu allem Überfluss ist mir heute auch noch ein neuer Romanstoff eingefallen bzw. ich hatte den Anfang bereits am vergangenen Wochenende, als die Liebste noch hier war, in mein Notizbuch geschrieben, weil er mir plötzlich durch den Kopf ging, hielt die dreiviertel Notizbuchseite allerdings lediglich für einen Snapshot. Und als ich heute zum Essen in der Stadt saß und das Notizbuch durchblätterte, um zu sehen, ob daraus für den Brasilienroman irgendetwas nicht abgearbeitet ist, da fand ich diese Textstelle wieder und begriff, dass das der Anfang für einen Roman ist. Das ist naturgemäß ganz wunderbar. Aber vordrängen darf sich dieser Stoff nun keinesfalls. Er muss jetzt beweisen, dass er gut ist, indem er sich auf die Warteliste setzen lässt und dort geduldig ausharrt, ohne etwas von seiner Frische zu verlieren. Schaun wir mal.

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker