Brahma, Busse und Bossa Nova
Belém do Pará, Samstag, 14. April 2012. Bei Milen Natchev: 'Mozart in Egypt'
Am Morgen, ich war schon um 06:50 Uhr wach geworden, ging ich vor dem Frühstück zum Fluß. Als ich an die Brüstung trat, sah ich unter mir auf einem Treppenvorsprung einen völlig nackten Mann stehen, der sein Glied in der Hand hielt und ins Wasser pinkelte. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er auf dieser Treppe lebte. Einige zerfetzte Plastiktüten bedeckten die Steine und als einzige Bekleidung lag zu seinen Füßen ein grauer Slip. Für einen Augenblick hätte ich am Ganges sein können, statt am Amazonas.
Wäre ich am Ganges gewesen, so hätte dieser Mann vermutlich an Brahma geglaubt, den Schöpfergott des Hinduismus. Hier in Belém ist Brahma freilich nur der Name eines Billigbieres, das im Yamada-Supermarkt umgerechnet etwa 65 Cent die Flasche kostet. Zu teuer für den Nackten vom Fluß. Er lebt nur wenige Meter von den malerischen gelben Kränen entfernt, deren Fotos man im Internet überall auf den Seiten findet, die über Belém informieren.
Ich hatte meiner Tochter, die zur Zeit für AFS Intercultural Programs in Kolumbien ist, geschrieben, dass ich die Armut hier schwer erträglich fände. Sie bestätigte das und meinte, die Armut könne sehr erschrecken. Tatsächlich liegen hier Menschen wie Müll herum, auf der Straße, in Eingängen. Ich hatte anfangs, als ich mit dem Übersetzer hier einiges besichtigt habe, noch fotografiert. Inzwischen habe ich mir das ganz verboten, weil es mir anmaßend und würdelos vorkäme.
Interessanterweise kamen wir heute bei der Durchsicht der Übersetzung von „Calvinos Hotel“ auch durch das Kapitel „Im Schatten der wirklichen Stadt“, in dem der General unter die Stuttgarter Obdachlosen gerät. Aber natürlich sind Welten dazwischen. Nach dem heutigen Arbeitstag an der Übersetzung sind lediglich noch 100 Seiten zur Durchsicht offen, denn wir sind gut voran gekommen. Wir werden also leicht fertig werden, bevor ich am Dienstag wieder abfliege.
Auf den Bossa Nova muss nun entgegen meiner ursprünglichen Absicht leider verzichtet werden. Ich hörte ihn vor zwei Tagen, in einem wunderbaren Konzert der Sängerin Conceicao Chermont und hatte eine kurze Filmaufnahme eines Liedes gemacht, die ich hier einstellen wollte. Doch die WiFi Verbindung auf meiner Hoteletage ist heute so schlecht, dass ein Upload ewig dauert und außerdem ständig abbricht.
Dafür sollen aber noch die Busse Erwähnung finden. Jan Oldenburg, mein Übersetzer, wird annehmen, es sei meiner angeblichen Vorliebe für Alliterationen geschuldet. Aber das ist nicht so, tatsächlich ist Belém nämlich eine Stadt der Busse, die den öffentlichen Nahverkehr erledigen. Und es gibt davon so viele, dass es schier unglaublich ist. Außerdem scheinen alle durch die Avenida Presidente Vargas zu fahren, in der mein Hotel liegt. Vorhin habe ich einmal in 30 Sekunden 13 Busse gezählt. Alle kommen beim Finanzministerim um die Ecke, schießen im großen Bogen auf das Hotel zu und geben mächtig Gas, da die Av. Pres. Vargas gerade dort eine ziemliche Steigung aufweist. Nun ja, was soll ich sagen? Es ist ein Wunder, dass ich dabei schlafen kann. Aber ich kann es, wenn ich auch regelmäßig recht früh aufwache. Erstaunlich an meinem Schlaf finde ich zudem, dass ich, seit ich in Brasilien bin, noch keinen einzigen Traum erinnere. Normalerweise setzen Ortsveränderungen bei mir die Traumtätigkeit erst so richtig in Gang, und ich bin ein Vertreter der Ansicht, dass es bedeutsam ist, was man in der ersten Nacht an einem neuen Ort träumt. Was bedeutet es demnach, dass ich hier nicht zu träumen scheine?
So, die Alliteration des Titels ist thematisch erfüllt. Bilder heute keine, wegen des WiFi-Desasters. ich hoffe, dass ich überhaupt diesen Blog-Beitrag hochladen kann.
Danach werde ich dann noch einen Privatbrief an die Liebste schreiben, was gut geht, da meine Systemzeit auf der Webseite zwar anzeigt, dass es schon sehr spät sei, es wird mir der 15. April 01:19:52 angezeigt. Aber das ist Blödsinn, denn in Belém ist es nach wie vor der 14. April und die Ortszeit lautet 21:19 Uhr.