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Lindqvist / Europäischer Rassismus / Wochenende in Berlin

Donnerstag, 15. September 2011 - Wiesbaden: bei Stravinskys "The Rake's Progress"

Seit heute komme ich endlich wieder dazu, meine Lektüre von Sven Lindqvists Reisebericht, oder sollte ich sagen, seiner Geschichtsanalyse, die einem Gang durch die Hölle gleichkommt, zu Ende zu führen. Er nennt seinen Bericht ja ganz konsequent >>>> „Durch das Herz der Finsternis“, womit der Bezug zu dem meisterhaften Roman >>>> „Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad hergestellt ist.


Ich war im Frühsommer durch einem Lesetipp von Ramon Schack auf dieses wichtige Buch aufmerksam geworden und hatte dann die ersten drei Teile ziemlich schnell lesen können. Meine Atlantiküberquerung und der New York-Aufenthalt hat dann alles unterbrochen, und ich konnte erst heute die Lektüre des IV. Teils des Buches in Angriff nehmen, der thematisch bis zum Holocaust reicht.

Doch der Bogen, den Lindqvist schlägt, ist weiter gespannt, denn er beginnt noch vor der Zeit des Europäischen Kolonialismus. Und der Autor ist beileibe kein distanzierter Historiker, der am heimischen Kamin die Quellen abwägt. Vielmehr hat er sich selbst, mit dem Laptop im Gepäck, aufgemacht, die Sahara zu durchqueren und die Orte des Schreckens aufzusuchen, die sich in die Jahrhunderte der Europäischen Kolonialgeschichte eingeschrieben haben. Sein Thema verfolgt ihn dann auch zwangsläufig bis in seine Träume. Verständlich, denn der Verlauf der Europäischen Expansion während des 19. Jahrhunderts wurde von einer Aufassung getragen, die den Völkermord für ein unvermeidliches Nebenprodukt des Fortschritts hielt.

Wer Europas verhängnisvolle Rolle in der Weltgeschichte besser verstehen möchte, der sollte dieses Buch lesen. Wer begreifen will, wie sich der schändliche Gedanke der vermeintlichen Überlegenheit der weißen Rasse, der aus evolutionären Gründen zwangsläufig die Ausrottung der anderen Rassen zu fordern schien, zu einer quasi wissenschaftlichen Anschauung entwickeln konnte – auch mit Hilfe von Charles Darwin – der sollte dieses Buch dringend lesen.

Aber ich kenne natürlich persönlich auch Leute, die angesichts dessen einfach sagen werden: „Wen juckt’s!“ Sie brauchen dieses Buch nicht zu lesen. In ihren Herzen lebt die Finsternis bereits.

Ich will hoffen, dass ich bis zu meiner für den Mittag des Samstag angesetzten Reise nach Berlin, wo ich an der jährlichen Party des Verlages teilnehmen möchte, mit dem Buch durch bin. Die Zugfahrt soll dann der erneuten Lektüre von Nagel und Newmans Buch über Gödel gewidmet sein. Ach, im Grunde sollte man immer nur reisen. Das Unterwegssein entbindet zumindest von den ständigen Alltäglichkeit. Bloch schrieb: Die gleichen Dinge täglich bringen langsam um. Neu zu begehren hilft die Lust der Reise. Die Liebste und ich haben deshalb auch bereits für den Mai des kommenden Jahres eine Reise nach Israel geplant, die uns durch das ganze (kleine) Land führen soll. Ich fühle mich seelisch ganz erschüttert, wenn ich daran denke.

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker