Allgemein

Der Schatten des Saturn – Seelenlähmung, die eigene

Wie sehr man sich mitunter doch im Unklaren über sich selbst befindet! Seit ich nun im zweiten Monat mit RH arbeite und es mir zum Glück gelungen ist, ihn wieder zum Schreiben zurück zu bringen, bin ich sehr massiv mit den Themen Depression und Schreibhemmung konfrontiert. Nun ist es so, dass ich in meinem Coaching durchaus immer schon damit habe umgehen müssen, doch hat das nie im Mittelpunkt meiner Arbeit gestanden. Es war eher ein Randphänomen, das es eben auch gab. Man musste damit irgendwie umgehen. Und ich hätte auf Nachfrage immer behauptet, dass ich das Thema Schreibblockade in meinem eigenen Schreiben ebenso wenig kenne wie das Thema Depression.

Tatsächlich ist es aber wohl so, dass das alles Quatsch ist. Die Korrektur meines für den jetzigen Buchherbst zur Neuauflage vorgesehenen Romans „Seelenlähmung“, der im Jahre 1981 mein Erstling war, hat mir mehr als deutlich gezeigt, dass es ganz anders ist/war. Die „Seelenlähmung“ ist ein zu wesentlichen Teilen autobiographisches Buch über eine zutiefst schwarze Depression, die sich über Jahre hingezogen hat und von mir nicht als solche erkannt worden ist. Über die Mechanismen dieser Verkennung, über die psychischen Verschiebungen und Projektionen will ich hier jetzt nicht sprechen, weil das ein zu umfangreiches Thema ist, das auf andere Weise behandelt werden muss.

Die erste, die das in aller Klarheit erkannte und mir auch auf den Kopf zusagte, aber dabei natürlich nur auf Abwehr stieß, war die Autorin Luise Rinser, die ich im Frühsommer 1989 in Rocca di Papa nahe Rom für das ‚Allgemeine Deutsche Sonntagsblatt‘, das es inzwischen schon lange nicht mehr gibt, interviewte. Sie hatte natürlich selbst sehr viel Erfahrung mit der Depression, worauf ich sie damals auch ansprach, da sie ein Buch darüber geschrieben hatte und den dunkel dräuenden Schatten des Vaters sehr gut kannte. Mir behagte das schon deshalb nicht, weil es mich zu sehr an die Astrologie gemahnte, gegenüber der ich fast einen aufklärerischen Reflex empfinde. Nun, es kann mich ja trotzdem niemand daran hindern, im Nachhinein etwas klüger geworden zu sein.

Ich bin – zumindest in dieser Hinsicht – eine krude Mischung aus Wissen und gleichzeitig völliger Blindheit/Verdrängung. Ich bin immer wieder wie ein Mensch gewesen, der allgemein über eine Verletzung reflektiert, ohne sich dabei gewahr zu werden, dass er selbst unter dieser Verletzung leidet. Das muss Selbstschutz sein.

Im Februar 1998 schrieb ich zum Beispiel das folgende Gedicht:

Dämmerung

Sanfter Anprall des Abends.
Vom Fluß her steigen die Schatten.
Acht Sommer und Winter haben
mir die Geduld in die Knochen gegossen.

Zwischen Hügel und Fluß antwortet
ein Vogel seinem Echo.
War Nichts! War Eis! War tot!
Langsam füllt sich der Brunnen.

Der schnelle Gang des Mondes
läßt dich die Jahreszeiten verwechseln.
Und dann wieder steht alles still, Echos in der Luft,
Schatten und der Duft von Stein und Wasser.

Was soll das heißen, verdammt noch mal? Acht Sommer und Winter haben mir die Geduld in die Knochen gegossen? Was soll denn das abseits von allen lyrischen Metaphern heißen? Das heißt doch in Wirklichkeit, dass ich nach meiner Scheidung von 1990 über acht Jahre in einer durchgehenden Depression gelebt habe, die sich 1998, als ich dieses Gedicht schrieb, endlich etwas zu lichten begann. Aber das war ja alles schon lange nach der Veröffentlichung meines ersten Romans. Über die Dauer der Depression, in der ich gelebt habe und aus der heraus ich den Roman „Seelenlähmung“ schrieb, der in der ersten Fassung 1981 veröffentlicht wurde, mag ich hier gar nicht nachdenken. Es müssen ebenfalls viele Jahre gewesen sein.

Der entscheidende Punkt bei meinem Roman-Erstling war freilich, dass ich damals mit der Veröffentlichung auf eine Zeitsituation traf, in der sofort verstanden wurde, was diese „Seelenlähmung“ meinte. Wir lebten ja alle in der „bleiernen Zeit“, wie der Film von Margarethe von Trotta so treffend titelte. Die Mischung aus RAF-Hysterie und Konfrontation mit der Geschichte der Nazi-Väter war in jenen Tagen einzigartig. Der Film „Die bleierne Zeit“ und mein Roman „Seelenlähmung“ erschienen beide im Jahre 1981; mein Buch im Frühjahr, von Trottas Film im Herbst.

Nun, wichtig wird sein, was ich daraus für die Zukunft folgere. Ich werde mich auf jeden Fall hinfort intensiv mit dem Thema Depression auseinandersetzen müssen. Dies einerseits natürlich auch ganz besonders deshalb, weil ich inzwischen mehrere depressive Autoren coache. Frau S. und Herr RH sind da keine Ausnahmen. Dann aber auch deshalb, weil es für mein eigenes weiteres Schreiben zwingend erforderlich ist.

Wenn man wie ich jetzt plötzlich/endlich begreift, dass man an einer Depression gelitten hat, dann liegt eine Menge Arbeit vor einem. Dies schon allein deshalb, weil ich es wie immer genau wissen will.

Kommentare deaktiviert für Der Schatten des Saturn – Seelenlähmung, die eigene

Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker