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Klopstock, Herbst und Verdi

10. Juni - Wiesbaden - Verdi: Stiffelio

Nach der Pause bei meiner Durchmusterung der Verdi-Opern bin ich nun doch wieder etwas weiter gekommen. Gestern „Luisa Miller“ und heute der „Stiffelio“. Schaut man den „Stiffelio“ inhaltlich an, so handelt es sich im Grunde um ein ziemlich krudes Werk, in dem die Figuren einer protestantischen Sekte angehören und das in so vielen Opern so typische Verwirrspiel eine überbordende Rolle spielt. Wenn ich bosartig wäre, so würde ich sagen, eigentlich kann man das Werk vergessen, da es auch musikalisch kaum zu den wirklich großen Würfen Verdis gehört. Und dies, obwohl in meiner Einspielung José Carreras einen grandiosen Stiffelio gibt und auch seine Frau Lina mit Sylvia Sass sehr gut besetzt ist.

Einen gewissen anekdotischen Wert hat die Oper vielleicht für Literatur-Freaks, denn es spielt ein Buch eine entscheidende Rolle in dieser Oper. Es ist erstaunlicher Weise >>>>  Klopstocks „Messias“, in dem ein Brief versteckt wird. Nun könnte man ja in jedem beliebigen Buch einen Brief verstecken, wenn es nur um das Verstecken ginge. Warum also gerade im Messias? Einem Werk, das Mitte des 18. Jahrhunderts in Deutschland erschien, ziemlich genau ein ganzes Jahrhundert vor der Uraufführung des „Stiffelio“ in Triest im November 1850. Obwohl ich darüber zumindest in meinem kleinen Handbuch zu allen Opern Verdis von Bagnoli nichts finde, so denke ich, dass der Bezug durch den religiösen Hintergrund hergestellt wurde. Nicht nur ist der „Messias“ natürlich ein geistlich-religiöses Werk, Klopstock wuchs vor allem auch in einer pietistischen Familie auf und bildet damit so etwas wie das natürliche Vorbild für die protestantische Sekte unter Führung Stiffelios. Das Libretto stammt von Francesco Maria Piave. Letztlich wird es Piave gewesen sein, der Verdi von diesem Stoff überzeugte.

Nimmt man alle Äußerlichkeiten von der Story weg, so kommt man an den Kern der Handlung und findet eine uralte Thematik. Sie dreht sich um den Ehebruch Linas, der Frau des Stiffelio. Entscheidend ist dabei, wenn man alle Winkelzüge in Abzug bringt, mit denen die Oper die Handlung verschleiert und den Weg zur Lösung des Konfliktes verlängert und der Übersichtlichkeit beraubt, dass Stiffelio seiner Frau Lina am Ende verzeiht. Das ist der Punkt, an dem diese Oper, die am 16. November 1850 im Teatro Grande in Triest Premiere hatte, modern ist, auch heute noch, zumal in Italien.

Schon allein, dass man auch einer Frau zubilligt, die Ehe zu brechen, spricht 1850 von einer entschieden emanzipatorischen Haltung. Und dass sie – schaut man auf das Ende – damit sogar durchkommt und ihr verziehen wird, in einer Zeit, da das Verstoßen und Töten ehebrecherischer Frauen keine Begründung gebraucht hätte, das ist eine fast unerhörte Botschaft.

Insofern ist auch die protestantisch pietistische Sekte, die Piave für das Setting nutzt, nur Kulisse. In Wahrheit meinen er und Verdi die bigotte katholische Sexualmoral, für die das sektirerische Gehabe aus dem deutschen Norden Quedlinburgs nur eine höchst passende Verkleidung war, um den eigenen Landsleuten den Spiegel vorzuhalten.

Also am Ende doch ein lautstarkes  „Bravo!“ von mir für Verdi und seinen Librettisten. Man muss nur etwas genauer hinschauen. Übrigens wurde ursprünglich in der Besetzung die Rolle der Lina als erste genannt, nicht Stiffelio, dessen Name die Oper ja als Titel trägt. In der Uraufführung wurde sie von Marietta Gazzaniga-Malaspina gesungen. Jens Malte Fischer führt sie in seinem epochalen Werk „Große Stimmen“ leider nicht auf. Er beginnt erst mit Caruso, also nahe am Beginn des 20. Jahrhunderts, davor wissen wir über die Sänger traurigerweise wenig.

Dabei ist der Name Gazzaniga ja durchaus nicht unbekannt. Giuseppe Gazzaniga (1743-1818) hat immerhin einen „Don Giovanni“ geschrieben, der am 5. Februar 1787 in Venedig uraufgeführt wurde. Im gleichen Jahr, aber über acht Monate vor Mozarts Uraufführung seines „Don Giovanni“ in Prag. Nun, der Stoff wurde damals recht häufig vertont. Und die verdächtige Ähnlichkeit zwischen Mozarts Fassung und gewissen Partien in C.W. Glucks „Don Juan, ou Le festin de Pierre“, die über ein Vierteljahrhundert vorher, bereits im Oktober 1761 in Wien uraufgeführt worden war, ist verbürgt. Was allerdings nichts daran ändert, dass Mozarts Opernfassung in allen Fällen die bessere ist. Aber machen Sie sich mal den Spaß und hören Sie sich Gazzanigas „Don Giovanni, o sia Il Convitato die Pietra“ an. Und lassen Sie sich nicht von dem umständichen Titel stören. Auch Mozarts Oper heißt in Wirklichkeit vollständig „Il dissoluto punito ossia il Don Giovanni“ („Der bestrafte Wüstling oder Don Giovanni“). Für Gazzaniga war sein „Don Giovanni“ übrigens schon die 37. Oper, insgesamt schrieb er fünfzig.

Zurück zu Verdi und Klopstock. Es gibt nämlich nicht nur diese Verbindung zwischen Klopstock und Verdi. Eine zumindest ebenso wichtige Verbindung gibt es von Klopstock zu Alban Nikolai Herbst, dessen Lesung der >>>>  „Bamberger Elegien – Das bleibende Thier“ ich am gestrigen Abend im Hessischen Literaturforum im Frankfurter Mousonturm hören konnte.


Wollte man es ganz kurz auf den Punkt bringen, so müsste man sagen, Alban Herbst las in Frankfurt Elegien vor. Elegien sind eine literarische Form, die von den Griechen stammt und üblicherweise aus Distichen besteht, das meint eine Abfolge aus Pentametern und Hexametern. Herbst bedient sich vor allem des Hexameters. Und jetzt sind wir endlich wieder bei Klopstock – sorry, boys and girls, historische Hintergründe reichen immer etwas tiefer, als die Begründungen, warum man Pommes rot/weiß oder Döner essen sollte/könnte – denn, das ist der entscheidende Punkt, Klopstock war der erste, der in der deutschen Literatur den Hexameter benutzte; eben für die Niederschrift des „Messias“, von dem oben die Rede ist.

Seither, seit Klopstock, spricht man auch vom ‚deutschen Hexameter‘. Und dieser Friedrich Gottlieb Klopstock, der in Hamburg bei der Christianskirche begraben liegt,  tat noch etwas, durch das er gewissermaßen auf umgekehrte Weise mit den Elegien des Alban Nikolai Herbst verbunden ist. Herbst hatte sich nämlich 2006 während eines Stipendien-Aufenthaltes in der Bamberger Villa Concordia vorgenommen, sich für den Epilog seines Abschlussbandes der „Anderswelt-Trilogie“ des Hexameters zu bedienen. Das sollte freilich gar nicht erkennbar sein und deshalb wie Prosa gesetzt werden. Nur für die seiner Leser, die von allein den sprachlichen Rhythmus seiner Sätze zu erkennen vermöchten, würde der Hexameter sich offenbaren. Und da Herbst seine „Fingerfertigkeit“ in Sachen Hexameter nicht für ausreichend groß hielt, so begann er während seines Aufenthaltes in der Villa Concordia eben dies zu üben. „Am Ende habe ich gar nichts anderes mehr getan.“ Letztlich benötigte er viereinhalb Jahre, um die 13 Elegien des Bandes „Das bleibende Thier“ niederzuschreiben. Und gesetzt hat er den Text tatsächlich so, als sei es Prosa. Bei Klopstock war es umgekehrt. Der hatte seinen „Messias“ nämlich ursprünglich in Posa schreiben wollen und wechselte erst später zu den Hexametern der endgültigen Fassung.

Ach ja, am Anfang dieses Textes steht das seltsame Bild mit der mathematischen Klassenarbeit, für die ein Schüler eindeutig ein ‚mangelhaft‘ bekommen hat. Ich fand dies Blatt gestern auf meiner Fahrt zum Wiesbadener Hauptbahnhof im Bus und klemmte es hinter den Rahmen des Werbeplakats, um es zu fotografieren. Es ist eindeutig, dass niemand diesem Kind mal verständlich erklärt hat, wie diese einfachen Gleichungen zu lösen sind. Wofür werden Lehrer eigentlich bezahlt?

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker